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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1983/0193
Württemberg-Hohenzollern als Land der französischen Besatzungszone

Freilich kann nicht übersehen werden, daß die französischen Militärregierungen mit ihren
kulturellen Programmen auf eine kleine Zahl besonders interessierter Deutscher erheblichen
Eindruck machten. Bei diesen begründete gerade die Erkenntnis von der der deutschen Lage
nahezu gleichen französischen materiellen Armut, von der gleichen Lage einer besiegten und
verarmten Nation, in der sich sowohl Deutschland als auch Frankreich befanden, ein starkes
Gefühl der Verbundenheit zwischen Besatzern und Besetzten. Als ein Beispiel unter manchen
sei dafür Dieter Wellershoff zitiert: Die Franzosen standen den Deutschen näher, denn sie
kannten die Niederlage, das Leben unter einer Besatzungsmacht, und sie hatten auch die
Maskenhaftigkeit der politischen Überzeugungen erlebt, die bei Machtwechseln offensichtlich
wird. Das waren ähnliche Erfahrungen, wie sie die Deutschen gemacht hatten, und deshalb
neigten Franzosen und Deutsche zu dem gleichen, von sogenannten Grenzsituationen faszinierten
Denken, das sich Existenzphilosophie nannte™. Doch es waren wohl nur wenige, die von
der französischen Kulturpolitik erreicht wurden. Gelegentlich mag auch bezweifelt werden,
welche der beiden Seiten der anderen mehr zu geben vermochte, denkt man an die Person des
ersten südwürttembergischen Regierungschefs Carlo Schmid.

Mit der erwähnten Hochschätzung der französischen Kulturarbeit im besetzten Deutschland
übernahmen die einschlägigen historischen Untersuchungen die Sehweise, wie sie gerade
die Exponenten der französischen Besatzungsmacht entwickelt hatten. Auch General Koenig
hatte rückblickend seine Tätigkeit in Baden-Baden als Grundlage einer deutsch-französischen
Annäherung bezeichnet561. In der Wirklichkeit der Nachkriegsjahre kam dies aber nur sehr
bedingt zum Ausdruck. Vielmehr hatten die deutschen Zeitgenossen ganz überwiegend den
Eindruck, daß Frankreich hinter einer verbrämten Fassade seine eigene harte Politik nur um so
konsequenter betreibe.

Im übrigen war es gerade General de Gaulle gewesen, der sich dieses Gefühl der
Verbundenheit in Armut gelegentlich geschickt zunutze zu machen verstand. Ein gutes Beispiel
dafür bot etwa die schon mehrfach erwähnte Freiburger Rede des Generals vom Oktober 1945,
mit der er viele seiner deutschen Zuhörer damals für sich einzunehmen wußte. Er wie seine
Gefolgsleute bei der französischen Militärregierung für Deutschland wußten sich immer wieder
als die Besatzungsmacht darzustellen, die als einzige für die Deutschen und auch gerade für die
besiegten Deutschen das rechte Verständnis aufbrächte. War Frankreich doch die einzige
kontinentaleuropäische Großmacht, die das Schicksal seit langem mit Deutschland verbunden
hatte. Da konnte man als kontinentaleuropäische Großmacht getrost auch den gegenwärtigen
Zustand Deutschlands bedauern, so wie es der General noch einmal in seinen Erinnerungen
formulierte: Celle que presentait l'Allemagne etait lamentable, en tout cas. Considerant les
monceaux de decombres ä quoi les villes etaient reduites, traversant les villages atterres,
recueillant les suppliques des bourgmestres au desespoir, voyant les populations d'oü les adultes
masculins avaientpresque tous disparu, je sentais se serrer mon coeur d Europeen. Doch hatte der
General Hoffnung: Mais, aussi, je discemais que le cataclysme, ayant atteint un tel degre,
modifieraitprofondement la Psychologie des Allemands.. Ainsi, au milieu des ruines, des deuils,
des humiliations, qui submergeaient l'Allemagne ä son tour, je sentais s'attenuer dans mon esprit
la mefiance et la rigueur. Meme, je croyais apercevoir des possibilites d'entente que le passe

560 Dieter Wellershoff, Deutschland - ein Schwebezustand, hg. von Jürgen Habermas. 1: Nation
und Republik. Frankfurt am Main 1979. S. 39-50, hier S. 85. Auch für die Regierung Petain und ihre letzte
Station in Sigmaringen gab es ein gewisses, eher merkwürdiges Interesse, vgl. Joachim Fritz-Vannahme,
Totentanz in Sigmaringen. Das Vichy-Regime im Sigmaringer Exil 1944/45, in: Allmende, Eine alemannische
Zeitschrift 1 (1982) S. 27-34. Letzterer Aufsatz beruht auf Henry Russo, Un chateau en Allemagne.
La France de Petain en exil. Sigmaringen 1944-1945. Paris: Edition Ramsay 1980, und Arnulf Moser, Das
französische Befreiungskomitee auf der Insel Mainau und das Ende der deutsch-französischen Collabora-
tion (Konstanzer Geschichts- und Rechtsquellen 25) Sigmaringen 1980.

561 Pierre Koenig, Bilan de quarte ans d'occupation, in: France-Illustration vom 17. 9. 1949 S. 1—2.

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