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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1984/0043
Die Junginger Audienzprotokolle von 1600-1625

ihnen die Landesordnung, auf die sie schwören sollten, verlesen wurde. Der Schmied Vollmer
konnte sich beim Jahrgericht von 1601 mit der Beaufsichtigung des Köhlerhaufens entschuldigen
. Nach dem Anhören der Landesordnung beginnt die Wahlprozedur. Bestimmte Männer im
Dorf genießen das Wohlwollen der Herrschaft, und die Gemeinde weiß, wen sie zum Vogt zu
wählen hat. Dieses Vogtamt geht dabei im Laufe der Jahrzehnte unter den einflußreichen Sippen
hin und her wie ein Wanderpokal. Bis 1601 war Melchior Dietsch Vogt in Jungingen; dann
wurde Hans Schuler, der Bäcker, gewählt, der dieses Amt in den Jahren 1603/04 kurzfristig an
seinen Berufskollegen Hans Ehemann abgibt, um es danach längere Zeit an sich zu reißen. Wie
lange er es ausübte, ist nicht ganz klar, von 1619 an läßt sich jedenfalls Bastian Seitz als Vogt
nachweisen.

Man erhält den Eindruck, daß sich um die Gruppe der Familien mit politischem Einfluß eine
zweite Riege von Bürgern schart, die die erste kritisiert und selbst Ansprüche auf Gemeindeämter
anmeldet. Dies zeigt sich, wenn Martin Christ und Consorten 1602 Klagepunkte gegen den
Vogt einreichen, oder etwa wenn Hans Bumiller, der ohnehin ständig mit der Gemeindeverwaltung
hadert, das Gericht beschimpft und meint, er könne es besser.

Eine wichtige Rolle spielt beim Aufstieg in den Kreis der einflußreichen Familien neben dem
Geld eine größere Versippung und Verschwägerung. Auf eine solche Versippung spielt Bastian
Seitz, der spätere Vogt, 1607 an, wenn er in der Gerichtssache Gammertinger/Seitz auf die
Befangenheit einiger Zeugen hinweist. Des Gammertingers Weib habe zuvor des Vogts Bruder
zur Ehe gehabt, David Mayer sei mit des Gammertingers Schwester verheiratet, so da&Freund-
und Schwagerschaft bestehe. Alles in allem deuten sich die Tendenzen zu einer Oligarchie im
kleinen an, die im 18. Jahrhundert schließlich voll ausgeprägt sein sollte24. Bei diesem Prozeß
verbinden sich die wohlhabenden Sippen zunächst und schließen sich dann nach außen ab, was
später sogar Ehen in der engeren Verwandtschaft notwendig machen wird25. Gemessen an den
inzestuösen Verhältnissen des 18. Jahrhunderts kam vor dem 30jährigen Krieg allerdings noch
genügend frisches Blut ins Dorf.

Die durchschnittlich vier Hochzeiten, die die Dorfbewohner jedes Jahr erwarten durften,
gehörten sicherlich zu den erfreulicheren Ereignissen, sofern die Herrschaft Tanz und Spiel
gnädig zugesagt hatte. Solche Feste versöhnten vorübergehend die Magd mit der Bäuerin, den
Sägemüller mit dem Bürgermeister. Die Bauern vergaßen kurzfristig ihren Hader mit der
Herrschaft und alle Beteiligten insgesamt ihre Sorgen und Ängste. Hatte der Graf Tanz und
Spiel erlaubt, dann wurde der alte Sackpfeifer aus Hausen geholt - oder hing in einer Junginger
Stube vielleicht selbst irgendwo ein Dudelsack? -, und man muß sich solche Gesellschaften
nicht anders vorstellen, als sie Breughel auf die Leinwand gebracht hat. Ob es allerdings auch bei
jenen 13 Hochzeiten des Jahres 1611/12, die wegen der Pest nötig geworden waren, so fröhlich
zugegangen sein wird, ist zumindest fraglich. Diese Eheschlüsse der durch die Pest Verwitweten
setzten zwar deutlich Lebenswillen gegen Todesdrohung, aber unter glücklichen Umständen
werden die Hochzeiten kaum stattgefunden haben.

Die Leichenbegängnisse haben - obwohl sie ein ganz anderer Anlaß leitet - z. T. ähnliche
Bedeutung und Wirkung auf die Dorfgenossen wie Hochzeiten. Wie der Tod vor keiner Tür
Halt machte, so rückt er auch in den kollektiven Trauerbezeugungen die Menschen näher
zusammen: persönlicher Haß, familiäre Spannungen und alltägliche Sorgen treten gegenüber
der gemeinsamen Abwehr der Todesangst zurück. Der Tod, der in den Bildern der Zeit als
Sensenmann seine traurige Ernte einholt, der als Feind erscheint, weil er plötzlich und
unerbittlich auftritt, hat seinen Platz im Dorf, d. h. im Blickfeld der Lebenden. Die Toten

24 Bumiller (wie Anm. 3), S. 132 f.

25 Im Junginger Dialekt hat sich in diesem Zusammenhang ein eigener Terminus technicus chaora
entwickelt, der, offensichtlich vom Wort >Chor< abgeleitet, das Einholen des bischöflichen Dispens
bezeichnete, der bei zu engen Verwandtschaftsehen notwendig wurde.

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