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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1984/0044
Casimir Bumiller

werden noch auf dem Friedhof bei der Kirche beerdigt; erst das 19. Jahrhundert verdrängt sie
aus dem Ort26.

Die aufregenden Ereignisse der Zeit waren in ihrer Mehrzahl traurig, bedrohlich, Angst
erregend. Dies scheint ein allgemeines Merkmal jener Zeit auch schon vor den Ereignissen des
30jährigen Krieges gewesen zu sein27. Tod drohte aus »natürlichen« Quellen wie der Pest (1611
und dann wieder 1634) oder aus den gesellschaftlichen und politischen Konstellationen der Zeit
(Kriege, Hexenverfolgung). Beide Arten erschienen den Menschen jedoch häufig gleichermaßen
als übernatürliche Eingriffe. Hexenverfolgung spielt zwar in Jungingen zwischen 1600 und
1625 keine Rolle, aber es waren schon vor Jahrzehnten Junginger Frauen als Hexen angeklagt
gewesen und man konnte sich noch genau an die furchtbare Verfolgungswelle von 1593—98
erinnern. Auch im hier untersuchten Zeitraum lebten bereits drei »Hexen« unter den
Bewohnern. Noch in zeitlicher Nähe zu unseren Audienzprotokollen - 1627 - sollte eine Frau
aus Jungingen als Hexe verbrannt werden: Katharina Fattlin, die Schwester des früheren
Pfarrers Bartlome Fattlin28. In ihrem Prozeß gibt sie zu Protokoll, daß sie schon 14 Jahre zuvor
ihr Unwesen in Jungingen getrieben habe. Eine weitere Hexe war schon geboren: Anna
Kientzlerin, die Tochter des früheren Schmieds, konnte allerdings zu diesem Zeitpunkt noch
nichts von ihrem Schicksal ahnen, das sie 1648 ereilen würde29. Die dritte Hexe ist Barbara
Dachtmännin (oder Dogmännin), die bis 1612 in Jungingen gelebt und dann nach Hausen
geheiratet hatte; fast 40 Jahre später als alte Frau wurde sie als Hexe angeklagt30.

Halbwegs planmäßige Schutzvorkehrungen konnten die Dorfgenossen wenigstens in
anderen Bereichen äußerer Bedrohung treffen. Etwa beim Wasserschaden von 1604 und 1622,
oder wenn nach einer Mißernte die Gemeinde den Zehnten zurückkaufte, um eine Hungersnot
zu vermeiden, wie etwa 1608 und 1612. Auch in Feuersnot standen die Leute nicht ganz so
hilflos da wie bei Seuchen.

Neben und über diesen äußeren und inneren Bedingungen dörflicher Alltagsgestaltung -
den Arbeitsverhältnissen, der gesellschaftlichen Differenzierung, den Naturereignissen und der
Todesdrohung - stand der herrschaftliche Eingriff. Nach vollendetem Ausbau der Landesherrschaft
waren in der Eigenverantwortlichkeit der Gemeinden nur noch die mit der agrarischen
Produktion zusammenhängenden Regelungen der Alltagsbewältigung verblieben. Alle übrigen
Vorgänge unterlagen herrschaftlicher Verordnung und Kontrolle, die Existenz der Audienzprotokolle
ist hierfür der beste Beleg. Wir wissen aus dem Dargestellten, welche Anlässe die
Leute zum Vogt oder auf die Kanzlei zwangen: zunächst einmal Veränderungen der persönlichen
Verhältnisse - Heiratsabsicht, Fortzug, Beginn einer Lehre, Einbürgerung, ein Todesfall
in der Familie -, aber dann auch gerade alltägliche Geschäfte wie Anträge auf Bauholz, die
Anzeige von Kauf oder Verkauf von Gütern, die Bitte, Waren außerhalb des Ortes oder der
Grafschaft kaufen oder verkaufen zu dürfen.

Doch solche verwaltungstechnischen Angelegenheiten waren nicht die einzige Erfahrung
der Dorfgenossen von Herrschaft. In den Audienzprotokollen nur am Rand bemerkbar, ist in
der Grafschaft Zollern in der Zeit um 1600 der Konflikt mit der Herrschaft um die freie Pirsch
offen ausgebrochen. 1600 haben sich die Gemeinden in einem Schwurverband zur »Landschaft«
zusammengeschlossen. 1605 hatte es in Bisingen, Grosselfingen, Weilheim und Stein einen
bewaffneten Aufstand gegeben, und 1619 brach im ganzen Land wegen überhöhter Frondienste

26 Über den Wandel in der Einstellung zum Tod siehe Philippe Aries, Studien zur Geschichte des Todes
im Abendland. München 1981 (dtv Wissenschaft 4369).

27 Kuczynski widmet der Atmosphäre dieser Zeit, die durch Angst und Gewalt geprägt war, ausführliche
Kapitel; (wie Anm. 1), Bd. 1, S. 124-145 u. S. 154-210.

28 Eine Hexe von Jungingen. In: Zollerheimat 3 (1937).

29 Wie Anm. 10.

30 j. A. Kraus, Opfer des Hexenwahns in Hohenzollern, in: Hohenz. Heimat 1 (1967) unter Nr. 79.

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