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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1984/0047
Die Junginger Audienzprotokolle von 1600-1625

Im Vergleich der beiden Junginger Protokollserien fällt eine unterschiedliche Verteilung
und Gewichtung der Vorgänge auf. Die jüngeren Protokolle von 1751-1775 enthielten soviele
Delikte und Straftaten, daß ich ihnen zwei ausführliche Kapitel widmen konnte. In den hier
verarbeiteten Protokollen von 1600-1625 fallen strafbare Handlungen fast nicht ins Gewicht.
Die relativ wenigen Sexualdelikte werden zudem meist gar nicht aus Gründen der Strafverfolgung
erwähnt, sondern eher zufällig in anderem Zusammenhang mitgeliefert. Dies heißt nun
bestimmt nicht, daß Strafhandlungen im 17. Jahrhundert seltener gewesen oder weniger streng
behandelt worden wären als im 18. Jahrhundert, sie finden früher nur in einer anderen
Quellengattung Niederschlag, in den Urfehden37. Und es hat den Anschein, als hätten die
Audienzprotokolle erst mit dem Außer-Gebrauch-Kommen der Urfehden im 18. Jahrhundert
z.T. deren Funktion übernommen. Deshalb finden sich dort in einem großen Ausmaß
strafrechtliche Vorgänge, während früher fast ausschließlich zivilrechtliche Vorgänge, Verwaltungsakte
, Anträge und Petitionen Gegenstand der Protokolle waren.

Diese Beobachtung macht es notwendig, den Begriff der Audienz noch etwas' näher zu
betrachten. Wir verstehen heute unter Audienz ganz verschiedene Vorgänge. Sie ist zunächst
eine Form der direkten Kontaktaufnahme eines Herrschers oder einer Autoritätsperson mit
seinen Untertanen/Untergebenen. Es ist eine Anhörung (lat. audire = hören) der Anliegen des
Untertanen, eine Möglichkeit, soziale Härten und Ungerechtigkeiten auf dem Petitionsweg zu
bereinigen. Die andere wohl bekannteste Form ist die Audienz, die Päpste Besuchern und
Gästen gewährten. Hier ist Audienz zum Gespräch unter bedeutenden Persönlichkeiten, zum
Gedankenaustausch mit häufig diplomatischem Charakter geworden. Gehen wir aber an die
Ursprünge des Begriffs der Audienz in der deutschen Rechtsgeschichte zurück, dann werden
wir auf eine bestimmte Einrichtung des karolingischen Rechtssystems verwiesen. Karl der
Große ließ etwa im berühmten Capitulare de Villis, c. 56, folgende Bestimmung formulieren:

Ut unusquisque iudex in eorum ministerio frequentius audientias teneat et iustitiam faciat et
praevideat qualiter rede familiae nostrae vivant.

(Jeder Amtmann soll in seinem Bezirk öfters Gerichtstage abhalten, Recht sprechen und
dafür sorgen, daß unsere Hofleute ein ordentliches Leben führen)38.

Es ist eindeutig, daß der Begriff audientia hier nichts anderes meint als den Gerichtstag,
wobei allerdings auf den Gerichtstagen, da sie nur in größeren Abständen stattfinden, alles
aufgearbeitet wird, was von der Rechtspflege und der Verwaltung her anliegt. Nicht nur kleine
und große Frevel werden verhandelt, sondern Verwaltungsakte werden vermittelt und Anliegen
der Bevölkerung soweit wie möglich berücksichtigt. Das heißt, wir sehen hier in der
Karolingerzeit bereits alle jene Vorgänge mit dem Begriff der audientia verknüpft, die im
18. Jahrhundert wieder die Audienzprotokolle füllen. Nur der Gerichtsherr, der die Vergehen
oder Anliegen seiner Untertanen anhören soll, hat sich mittlerweile aus diesem Audienz-
Verhältnis zurückgezogen, der Graf liest jetzt nur noch, was die Untertanen begehren oder
begangen haben und gibt nicht direkt, sondern schriftlich seine Anordnungen; später wird er
dies sogar ganz seinen Beamten überlassen. Der Begriff der Herrschaftsanonymisierung scheint
mir also für diesen Prozeß gerechtfertigt. Die Einrichtung der frühmittelalterlichen Audientia,
des Gerichtstages, hat sich nach den obigen Bemerkungen im Bereich der Grafschaft Zollern
historisch aufgespalten in die hohe Gerichtsbarkeit, die die Strafverfolgung betreibt, in die
Jahrgerichte, wo die Loyalität der Untertanen erneuert und die lokalen Niedergerichte besetzt
werden, und in die Audienzen, wo Verwaltungsangelegenheiten, Petitionen und Anträge
bearbeitet werden.

37 Das Staatsarchiv Sigmaringen bewahrt die zollerischen Urfehden unter der Rubrik C II 2 aa. Für
Jungingen (Nr. 16, Pak. 264) sind 32 Urfehden aus der Zeit zwischen 1563 und 1653 erhalten.

38 Zitiert und übersetzt nach Günther Franz : Quellen zur Geschichte des deutschen Bauernstandes im
Mittelalter. Darmstadt 1967. S. 54/55.

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