http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1984/0132
Manuel Werner
Das Ende der israelitischen Gemeinde
Die israelitische Gemeinde Hechingen schrumpfte im »Dritten Reich« durch Wegzug,
Auswanderung und Sterbefälle und erlosch schließlich mit der Deportation ihrer Mitgliederlos.
Heute (1982) gehören in Hechingen nur noch zwei Einwohner dem israelitischen Religionsbekenntnis
an.
cj Zusammenfassung
Die Bereiche politische und religiöse Gemeinde sind nicht exakt voneinander zu trennen. Sie
durchdringen sich vielmehr gegenseitig. Als Jude war man bis 1871 von Geburt an nicht nur
Mitglied einer Religionsgemeinschaft, sondern gehörte automatisch auch einer besonderen
politischen Gemeinde an. Von der Umwelt wurde die politische und die religiöse Judengemeinde
weitgehend als ein Komplex angesehen.
Seit 1871 gab es praktisch keine politische Judengemeinde mehr, sondern nur noch die
Israelitische Kultusgemeinde Hechingen, deren Aufgabe es war, die Ausübung des israelitischen
Kultus in allen seinen Richtungen zu ermöglichen und zu pflegen und die israelitische
Wolksschule und ihre Einrichtung in gesetzlicher Weise zu erhalten109.
d) Exkurs: Die Rolle der Kaullas
Raphael, Sohn Benjamins aus Buchau, zog von Haigerloch, wo er Landesvorsteher war,
nach Hechingen«110. Im Jahr 1747 erhielt Raphael Isaak (ben) Benjamin von Buchau am
Federsee, Vorsteher der dortigen und auch der Haigerlocher Judengemeinde und bisher
»Fürstlich Sigmaringischer Hofjud«, in Hechingen die »Hoffreyheit« und die Funktion eines
Hoffaktors111.
Auf die Verwendung Raphaels wurde vom Fürsten der Schutzbrief vom 29. März 1754
ausgestellt, nachdem den Juden kurz vorher schon die Ausweisung drohte112. Im Jahre 1759
erwarb Hoffaktor Raphael aus einer Erbmasse die frühere Münzstätte113. In der sogenannten
Münz errichtete die Familie Kauila dann im Jahre 1803 ein Lehrhaus. Hoffaktor Raphael war
der Vater der berühmten Madame Kauila114. Gemeinsam mit ihrem Bruder und ihrem
Schwiegersohn begründete Chaile (1739—1809)115 die führende Stellung der Familie Kaulla als
Hofbankiers und Hoflieferanten in Hechingen und Stuttgart116. Rabbiner Dr. Mayer schreibt
hierzu: »Endlich gestaltet sich ihr [der Israeliten] Geschick freundlicher und milder. Kaulla
nämlich, die Tochter des durch einen unglücklichen Fall in Sigmaringen schnell verstorbenen
Raphael, wurde in den Zeiten des Reichskrieges, durch ihre bedeutenden Verbindungen mit
vielen Großen der Erde, eine sehr angenehme Frau. Sie erhob sich aus dürftiger Niedrigkeit zur
glänzenden Höhe, daß sie saß neben den Fürsten der Völker. Sie war eine Debora ihrer Zeit,
eine Mutter in Israel, denn es durfte sicher wohnen im Lande, in den letzten Lebensjahren des
108 Vgl. Otto Werner, Verzeichnis jüdischer Einwohner in Hechingen 1933-1945. Hechingen 1982.
Lagerorte: StAS und HHBH. Siehe hierzu Kapitel XV. Statistische Angaben über die jüdischen
Einwohner in der Zeit von Januar 1933 bis Mai 1945.
109 Statuten für die israelitische Gemeinde Hechingen. Genehmigt durch die Königliche Regierung zu
Sigmaringen durch Erlaß vom 9. Januar 1908. Hechingen 1908. Lagerort: HHBH, R. 6. und SAH,
Aktenplan 5422, Bd. Rechtsverhältnisse der israelitischen Gemeinde.
110 M, Sp. 506.
111 Vgl. ChH III, S. 156. - Hoffaktor = Finanzberater des Fürsten.
112 Vgl. M, Sp. 506.
113 Vgl. ChH III, S. 164.
114 Vgl. ChH III, S. 156.
115 Dieser Eigenname wurde zum Namen der Familie.
116 Vgl. KR, S. 16.
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