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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1986/0117
Der Wandel des preußischen Staatsgedankens

bisher die staatliche Regie gewohnt waren. Der Freiherr von Stein hatte überhaupt die radikale
Einführung des liberalen Wirtschaftssystems mit Skepsis betrachtet und nach dem Zollgesetz,
das die Handelsfreiheit brachte, die Gefahren der unbeschränkten Konkurrenz für die
merkantilistisch geprägten preußischen Verhältnisse vorausgesehen. Durch das Gesetz von
1818 wurden die Binnenzölle beseitigt, so daß ein einheitlicher Markt mit innerer Verkehrsfreiheit
entstand, der 5000 Quadratmeilen und über 10 Millionen Bewohner umfaßte. Es kam
jedoch infolge der überlegenen Konkurrenz der westeuropäischen Staaten bald zu einer Krise,
weil die englischen oder französischen Waren mit ihren billigeren Preisen diesen preußischen
Markt überschwemmten, der mit 10% Verbrauchssteuer den niedrigsten Zolltarif aller
europäischen Staaten hatte20.

Die Wirkung der Reformgesetze auf das innere Gefüge war seit der Aufhebung der
Erbuntertänigkeit im Jahre 1810 nicht mehr zu übersehen. Die neue Freizügigkeit der früher
schollenpflichtigen Bauern führte zur Landflucht und zu einer Zuwanderung in die Städte.
Berlin zählte in den zwei Jahrzehnten bis 1836 pro Jahr 4000 Zuwanderer. Im Zeichen der
wachsenden Zahl von Fabrikgründungen halfen diese ländlichen Arbeiter den steigenden
Bedarf der städtischen Industrie decken. Nach dem Wegfall des Zunftzwangs sorgten in der
jungen kapitalistischen Wirtschaft Arbeitsvermittlungsbüros, daß die gewerblichen Unternehmungen
die erforderlichen Fachkräfte und ungelernten Arbeiter zugeführt erhielten.

Angesichts der Überflutung mit westeuropäischen Waren und der Labilität der Verhältnisse
auf dem Arbeitsmarkt wurde schon im Jahre 1821 eine Revision des Zollgesetzes
notwendig: Gemäßigte liberale Grundsätze setzten sich durch. Den nahezu unbeschränkten
Einfuhren wurde ein Riegel vorgeschoben. Fabrikanten und Handwerker mußten erst lernen,
mit modernen Produktionsmethoden und neuen oft bald verbesserten Maschinen zu arbeiten.
Die merkantilistische Staatsprotektion kam nicht wieder; statt dessen wirkten die neuen
Organe der Gewerbeförderung wie die »Technische Deputation für Gewerbe«, seit 1821 der
»Verein zur Beförderung des Gewerbefleißes«, eine gewerbliche Fachschule für angehende
Werkmeister bzw. Fabrikanten und die Bau-Akademie. Erst im Jahre 1848 wurde die
preußische Handels- und Gewerbeverwaltung für längere Zeit - nicht endgültig - aufgehoben21
.

In die Zukunft wiesen jedoch die zunächst dominierende Industriealisierung Schlesiens,
bald diese überflügelnd die Entstehung der Textil- und Schwerindustrie am Niederrhein bzw.
im Ruhrgebiet. Infolgedessen konnte Preußen im Jahre 1834 den Deutschen Zollverein
gründen, dem sich trotz politischen Widerstrebens auch die mittel- und süddeutschen Staaten
anschlössen. Österreich-Ungarn vermochte ökonomisch und verkehrspolitisch die Konkurrenz
mit dem flächenmäßig kleineren Preußen nicht aufzunehmen. Der Lauf der deutschen
Flüsse zur Nord- und Ostsee und die reichen preußischen Kohlenvorkommen gaben dem
Hohenzollernstaat gegenüber dem Habsburgerreich einen kaum aufholbaren Vorsprung vor
dem industriell zurückbleibenden und noch stärker agrarisch bestimmten Österreich-Ungarn.
Es war deshalb kein Zufall, daß auch viele süddeutsche Liberale mehr auf das moderne
Preußen als künftige Führungsmacht in Deutschland setzten.

Dennoch wurde nicht nur der Vielvölkerstaat Österreich, sondern auch der Hohenzollernstaat
durch den Ausbruch der Märzrevolution in eine echte Krise gestürzt. Trotz anfänglicher
Erfolge der Aufständigen gegenüber den etablierten Gewalten und trotz der Verfassungsberatungen
der ersten deutschen Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche, scheiterten
die 48er an dem militärischen Wiedererstarken der deutschen Großmächte, die die ihnen von
Vertretern der Revolution angetragene Kaiserkrone zurückwiesen. Liberale und Republikaner
wurden im Jahre 1849 militärisch und bis 1851 auch politisch hart niedergeworfen. Der
Deutsche Bundestag nahm im Herbst 1851 wie vor 1848 seine Arbeit im alten Stile wieder auf.

20 I.Mieck: Vom Merkantilismus zum Liberalismus. In: Moderne Preußische Geschichte II 1008/10;
H.Rachel: Der Merkantilismus in Brandenburg-Preußen. In: Moderne Preußische Geschichte II 951 f.

21 I.Mieck (wie Anm.20) S. 1010/13 und S. 1017/20.

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