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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1986/0123
Der Wandel des preußischen Staatsgedankens

ner fremder Landesteile40 forderte Bismarck zuversichtlich: Preußen hat an ganz Deutschland
zu vollbringen, was es an sich selbst vollbracht hat. Wie es einst in den von Polen, Frankreich,
Sachsen erworbenen Landesteilen die Uberwindung vergessen machte, sie zu dem Gefühl der
Gemeinsamkeit und Gleichheit erhoben hat, so hat es jetzt das innerhalb eines Volkes auf die
Dauer nicht haltbare Verhältnis zwischen Siegern und Unterworfenen zu verwischen, das
besondere Staatsbewußtsein zu verschmelzen, in freudiger und stolzer Anhänglichkeit an ein
deutsches Gemeinwesen, an dessen Spitze der König von Preußen steht^.

Wenn auch von Seiten Bismarcks und seiner Regierung die Bedeutung Preußens für die
Einigung der deutschen Stämme stets betont und mögliche Konflikte beschwichtigt wurden, so
blieb nach der Reichsgründung der Trend zur Stärkung des alle Deutschen umfassenden Reichs
- auf Kosten der Einzelstaaten - in weiteren Kreisen der Bevölkerung, besonders bei den
Liberalen, nicht zu übersehen. Mit guten Gründen konstatiert Ulrich Scheuner, daß das Bild
Preußens im Bismarckreich seit 1871 zu verblassen beginne42. Die trotz der Rückschläge der
>Gründerkrise< vorwärtsdrängenden Kräfte der modernen Wirtschaft und die Kreise des
liberalen Bürgertums blickten nach 1871 erst in zweiter Linie auf den preußischen Staat, der
ihnen - wie etwa einem Gustav Freytag - nicht liberal genug war43 und durch seine politischkonservative
Sonderstellung bereits Anlaß zur Kritik bot. Je mehr die deutschen Einzelstaaten
ihre Selbständigkeit zugunsten des gesamten Vaterlands aufgaben, desto mehr imponierte das
Reich, das aufgrund der verfassungsmäßigen Arbeitsteilung die großen gemeinsamen Aufgaben
in die Hand nahm und durch seine wachsende außenpolitische Geltung in Europa, ja sogar
darüber hinaus als emporstrebende Wirtschaftsmacht in zunehmendem Maße das Interesse der
Deutschen beanspruchte. Während der Reichsgedanke Fortschritte machte, blieb selbst für den
größten Einzelstaat Preußens >nur< Militär und Verwaltung, also die mehr konservativen >alten<
Bereiche des öffentlichen Lebens übrig. Der Reichstag interessierte das Publikum mehr als die
Landtage. Wenn Bismarck mit seinen Reden auf weiterreichende Resonanz rechnete, sprach er
meist im deutschen Parlament.

Vor allem sah Bismarck seit dem Ende der 70er Jahre auf den alternden Kaiser. Bisher hatte
es der Reichsgründer verstanden den - auch bis in die höchsten Ämter hinein - erkennbaren
oder latenten Konflikt zwischen Preußen und Reich durch eine >halbrechts< gerichtete Politik
im Reichstag und im preußischen Landtag zu überbrücken. Daß jetzt die Nationalliberalen seit
der konservativen Wende des Kanzlers mit ihrem linken Flügel zur Opposition zählten, führte
zur Spaltung des Liberalismus44. Umso mehr sah Bismarck nach dem Tod des Kaisers die
Gefährdung seiner Politik und der eigenen Stellung durch den Kronprinzen und durch die ihm
nahestehenden Deutsch-Freisinnige Partei. Das Programm dieser Partei zielte auf eine Änderung
der Reichsverfassung im liberalen Sinne und forderte u. a. ein verantwortliches Reichsministerium
an die Stelle des Bundesrats als Garantie des bundesstaatlichen Charakters des Reichs
zu setzen. Diese Nachricht veranlaßten den Kanzler in einem vertraulichen Gespräch mit dem
sächsischen Gesandten in Berlin zu der aufschlußreichen Erklärung: Er... sei nie Unitarier
gewesen. Was zum Leben der Nation als solcher notwendig sei, - gemeinschaftliche auswärtige
Politik, gemeinschaftliches Heer unter einheitlichem Kommando etc. sei in der Reichsverfassung
gesichert. Bismarck räumte zwar ein, er habe in den ersten Jahren nach der Gründung des
Deutschen Reichs der Nationalliberalen Partei mehr Raum gewährt, als er sonst getan haben

40 Vgl. Expansion und Integration. Zur Eingliederung neugewonnener Gebiete in den preußischen Staat.
Hrsg. v. P. Baumgart, in: Neue Forschungen zu brandenburg-preußischen Geschichte, hrsg. v. O. Hauser
. Köln-Wien 1984. Bd. 5.

41 H. Rothfels (wie Anm. 22) S. 194.

42 U. Scheuner: Der Staatsgedanke Preußens, Studien zum Deutschtum im Osten. Köln-Graz 1965.
Bd. 2, S.14.

43 G. Freytag: Erinnerungen aus meinem Leben. Hafis-Lesebücherei, Leipzig o.J. S. 54ff.

44 H. Goldschmidt (wie Anm. 28) S. 300/303; G. Frhr. v. Ebstein/C. Bornhak: Bismarcks Staatsrecht
. Berlin 1923. S. 33/59.

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