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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1986/0132
Gerhard Schulz

Betracht. Konnte Preußen den Adel gewinnen, in erster Linie seine tonangebenden großen
Familien4 und ihre Clans, dann konnte es wohl auch nicht ganz und gar unmöglich erscheinen,
die 1793/95 neu gewonnenen Provinzen mit den altpreußischen Bestandteilen des Staates
ähnlich zu »amalgamieren«5, wie es Friedrich dem Großen 1772 in Westpreußen und schon
vorher, nach dem Siebenjährigen Krieg in Schlesien, allerdings unter weitaus günstigeren
Bevölkerungsverhältnissen, geglückt war. Den preußischen Beamten des 18.Jahrhunderts
schien die Eingliederung der Polen, obgleich die aufgeklärtesten Köpfe schon von der »Nation«
sprachen, letztlich immer nur ein Problem der Staatsautorität.

Doch schon lange vor der Reichsgründung gab es im preußischen Polen Anzeichen einer
zunehmenden Nationalisierung des preußisch-polnischen Verhältnisses. Auf einer ersten Stufe
dieser Entwicklung entfaltete sich der Einfluß deutscher nationaler Stimmungen nach napoleonischen
Kriegen und Befreiungskriegen, nachdem aus dem Aufschwung eines deutschen
Nationalgefühls die wirkungsvollste Gegenbewegung gegen die Okkupationen des französischen
Kaiserreiches hervorgegangen war. Im Osten, in dem durch den Wiener Kongreß erneut
und nunmehr eindeutig zugunsten eines Ubergewichts des Zarenreichs aufgeteilten Polen
richtete sich diese deutsche nationale Stimmung gegen den polnischen grundbesitzenden Adel,
der sich in seinem größten Teil mit dem unglücklichen letzten König Poniatowski auf die
französische Seite geschlagen hatte.

Dies trat deutlicher noch nach dem Ausbruch der polnischen Revolution von 1830/31
hervor, die zwar aus der Lage innerhalb des vergrößerten russischen Machtbereichs resultierte,
aber von Kongreßpolen auch in preußisch-polnische Gebiete übergriff. Mit dem Blick des
Strategen warnte General von Clausewitz als Generalstabschef in Posen: »Die polnische,
belgische und italienische Revolution sind an sich nicht zu werten als Erfolge natürlicher
Rechtsansprüche - sie sind Exponenten der französischen Machtpolitik. Ein polnischer Staat
bedeutet eine grundlegende Umbildung des europäischen Systems, deren Kosten Deutschland
zu tragen hat. Rußlands Gesicht wird nach Osten abgewendet, Frankreich wird zum Herrscher
des Kontinents«6. Die Erfahrungen dieser nationalen polnischen Revolution führten - auf einer
zweiten Stufe - zu einer zwar noch nicht unmittelbar wirksamen, aber doch zusehends
entschiedener beabsichtigten Eindeutschung oder »Germanisierung« der polnisch bevölkerten
Gebiete, nicht mehr nur - sogar nicht einmal in erster Linie - des polnischen Adels, der wieder
die Führung dieser zweiten polnischen Erhebung innerhalb von 35 Jahren übernommen hatte.
Im Verein mit dem seit 1833 in Posen Kommandierenden General des 5. Armeekorps, dem
entschieden national gesinnten Karl von Grolmann, einem der preußischen Reformer unter
Boyen und Scharnhorst - dem einstigen »preußischen Jakobiner«, der 1809 in Österreich und
später in Spanien gegen Napoleon gekämpft hatte, - wurde der Oberpräsident Eduard Heinrich

4 Vgl. die Darstellung der polnischen Gesellschaft im 18. Jahrhundert von Jörg K. Hoensch: Sozialverfassung
und politische Reform. Polen im vorrevolutionären Zeitalter (Beiträge zur Geschichte Osteuropas,
9). Köln/Wien 1973. bes. S. 50-82, 214-268.

5 Gerhard Ritter: Die preußischen Staatsmänner der Reformzeit und die Polenfrage. In: Albert
Brackmann (Hrsg.): Deutschland und Polen. Beiträge zu ihren geschichtlichen Beziehungen. München/
Berlin 1933. S. 209. Die komplementären Wirkungen der russischen und der preußischen Polenpolitik hat
Klaus Zernack herauszuarbeiten und auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen versucht: Negative
Polenpolitik als Grundlage deutschrussischer Diplomatie in der Mächtepolitik des 18. Jahrhunderts. In:
Rußland und Deutschland. Festschrift für Georg v. Rauch, Hrsg. von Uwe Liszkowski (Kieler Historische
Studien, 22), Stuttgart 1974. S. 144-159, und in späteren Veröffentlichungen. Wichtige neuere Arbeit zu den
Anfängen Michael G. Müller: Polen zwischen Preußen und Rußland. Souveränitätskrise und Reformpolitik
1736-1752 (Einzelveröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, 40). Berlin 1983;
alsdann die Referate von Klaus Zernack, Tadeusz Cegielski, Jacek Staszewski, Jerzy Michalski und
Karl Otmar Freiherr v. Aretin auf einer deutsch-polnischen Historiker-Tagung in Berlin: Polen und
die polnische Frage in der Geschichte der Hohenzollernmonarchie 1701-1871. Hrsg. von Klaus Zernack
(Einzelveröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, 33). Berlin 1982.

6 Zit. bei Hermann Oncken: Preußen und Polen im 19. Jahrhundert. In: Deutschland und Polen. S. 225.

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