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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1986/0136
Gerhard Schulz

Masuren und Litauer16. Auch nach der Muttersprachenstatistik des Deutschen Reiches mit
ihrem begrenzten Aussagewert nahmen diese Anteile allmählich zu und nicht ab. Zwischen den
polnischen Erhebungen von 1830 und 1848 hatte die von Flottwell befürwortete Politik, die auf
eine Trennung von Adel und Klerus auf der einen und dem nachdrücklich geförderten
Bürgertum und Bauernstand auf der anderen Seite hinauslief und die moderne demographische
Entwicklung enger an den preußischen Staat binden wollte, zu dem Ergebnis geführt, daß sich
kirchliche wie sprachliche Gemeinschaft, durch Vereins- und Kulturleben gefestigt, beständiger
erwiesen als erwartet und dem polnischen Eigenbewußtsein eine noch breitere Basis zu sichern
schienen. Diese »Modernisierung« ergab kein eindeutiges Fazit zugunsten Preußens oder
Deutschlands. Auch die zielbewußte Uberführung polnischer Rittergüter in deutsche Hände,
seit 1833 über einen »Güterbetriebsfonds«!7, vermochte hieran nichts zu ändern. Aber dies war
nur erst eine Art Vorspiel zum Drama. In den nachfolgenden Jahrzehnten wuchs der Gegensatz
der Nationalitäten allmählich in die Breite.

n.

Wir sahen bereits, daß die historischen Beziehungen zwischen Deutschland und Polen
einmal innerhalb größerer, außenpolitischer Rahmenbedingungen sich gestalteten - am deutlichsten
in den Teilungen Polens -, gleichzeitig aber auch durch sozioökonomische Dominanten
der inneren Politik bestimmt wurden18. Das preußisch-deutsch-polnische Verhältnis blieb
mithin stets sowohl ein außenpolitisches als auch ein innerpolitisches. So hat es natürlich auch
Bismarck betrachtet. Die Geschichte Polens ist zudem aber sowohl in älterer als auch in jüngerer
Zeit in eigentümlicher Weise in der Geschichte Europas eingebettet. Einerseits reichten in der
ganzen Neuzeit Beziehungen Polens, genauer gesagt: polnischer Familien, Gruppen, kirchlicher
Orden, unmittelbar nach Rom oder nach Paris, ohne Mitteleuropa zu berühren. Anderseits
besitzt das nördliche Ostmitteleuropa keine scharfen geographischen Konturen und dauerhaften
Grenzen, bildet es eine große Zone sanfter Ubergänge. Dies erklärt manche Eigenarten der
polnischen Geschichte. Militärisch gesehen, bietet sich in Polen keine feste Position oder ein
starker Anhalt - weder zur Verteidigung noch als Ausgangsbasis eines Angriffs. Polnische
Militärpolitik wies daher in neuerer Zeit - ausgesprochen oder unausgesprochen - zumeist von
vornherein das Schwergewicht entscheidender Handlungen einer Unterstützungs- oder Anlehnungsmacht
zu. Der Verlauf der Kriege 1812/13 wie 1914/18 und, falls es der Erwähnung noch
bedürfte, auch des »Blitzkrieges« von 1939 lieferten ebenso eindeutige Beispiele wie die
militärischen Gegenoperationen während der Aufstände 1830/31 und 1863. Polen konnte sich
bisher und kann sich nicht aus eigener Kraft verteidigen, wie stark es auch gerüstet sein mag,
sondern vermag sich immer nur mit Hilfe einer Anlehnungsmacht oder unter dem Schutz oder
Beistand anderer Mächte zu behaupten.

Nach der Hochstimmung des nationalen Aufbruchs - und den mißlungenen polnischen
Aufständen - schlug deutliche Enttäuschung über diese Verwicklungen in den drastisch
formulierten Überlegungen zu einer revolutionären Strategie bei Friedrich Engels durch, die er
am 23. Mai 1851 seinem Freunde Karl Marx mitteilte: »Je mehr ich über die Geschichte

16 August Meitzen: Der Boden und die landwirtschaftlichen Verhältnisse des Preußischen Staates nach
dem Gebietsumfange vor 1866, im Auftrage der Minister der Finanzen und für Landwirtschaftliche
Angelegenheiten unter Benutzung amtlicher Quellen. I.Bd.. Berlin 1868. S. 316.

17 O. Hauser: Polen und Dänen (wie Anm. 7), S. 295.

18 Hierzu und zum Folgenden seien auch einige frühere Veröffentlichungen erwähnt: Gerhard Schulz:
Die deutschen Ostgebiete. Zu ihrer historisch-politischen Lage. Pfullingen 1967; Ders.: Deutschland und
der preußische Osten. Heterologie und Hegemonie. In: Sozialgeschichte Heute. Festschrift für Hans
Rosenberg zum 70. Geburtstag, hrsg. von Hans-Ulrich Wehler. Göttingen 1974. S. 86-103; eine kürzere
Fassung des hier Dargestellten enthält die Stellungnahme zur polnisch-deutschen Schulbuchdiskussion aus
dem Jahre 1979, G. Schulz: Deutschland und Polen vom Ersten zum Zweiten Weltkrieg. In: Geschichte in
Wissenschaft und Unterricht, 33 (1982), S. 154-172.

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