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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1986/0141
Preußen, Deutschland und die polnische Frage

etwas mehr als ein Zehntel; hinzu kamen kleinere ethnische Minderheiten, die nicht mit dem
Polnischen, sondern in anderen slawischen Sprachen aufwuchsen, wie Sorben, Masuren,
Litauer usw. Alle diese Gruppen konzentrierten sich auf größere Landstriche in den Provinzen
Preußen (seit 1878 - wie schon vor 1815 - in Ost- und Westpreußen getrennt), Pommern,
Schlesien, Posen und den Südostrand der Provinz Brandenburg. In der Provinz Posen bildeten
die Polen die Mehrheit der Bevölkerung. Hier zeigte die Volkszählung von 1885, gegenüber der
vorausgegangenen, fünf Jahre zuvor, erstmals einen Rückgang der Bevölkerung mit deutscher
und eine Zunahme der mit polnischer Muttersprache an30.

Der »Kulturkampf«, den die preußische Regierung unter Bismarck zuerst und am heftigsten
in Posen führte, blieb nicht der einzige Weg einer Gewaltpolitik. Eine Massenausweisung von
mehr als 25 000, meist länger in Deutschland ansässigen, aber nicht neutralisierten Polen und
Juden, die er 1885 anordnete31, kündete eine weitere Zuspitzung an, die die Berliner
Regierungen unter den Minderheiten bis zum Sturze des Kanzlers verhaßt machten.

Bismarck, der sich nach Grundsätzen der preußischen Innen- wie der Außenpolitik, mit
Rücksicht auf die Erhaltung der Konstellation in Osteuropa, entschieden gegen ein selbständiges
polnisches Staatswesen aussprach, war wohl kein nationalistischer Germanisierungspoliti-
ker. Seine spätere Ansiedlungsgesetzgebung wandte sich gegen den polnischen Adel, den er als
den Befürworter polnischer Autonomie oder Souveränität erachtete und den er aus seinen
Gütern auszukaufen versuchte; eine Politik gegen die polnische Sprache, gegen Bauern, Pächter
und Landarbeiter polnischer Herkunft läge jedoch nicht in seiner Absicht, erklärte Bismarck zu
wiederholten Malen, besonders nachdrücklich Jahre nach seinem Sturz, 1894 in einer Ansprache
in Posen32. Mit der Massenausweisung von 1885 verträgt sich dies freilich nicht, auch kaum
mit seinen Angriffen auf die polnische Geistlichkeit, im besonderen das Prälatentum. Bismarcks
komplizierte Überlegungen und sein ausgeklügeltes Taktieren lassen es auch hier, wie meist,
weniger auf das einzelne Wort als auf Sinn und Ziel ankommen. Am Vorabend der Wiederannäherung
an den Hl. Stuhl und der definitiven Beendigung des Kulturkampfes, als die Position des
Zentrums nachzugeben schien, lag dem Reichskanzler an einer Neubelebung der nationalen
Kampfparole, freilich mit der legitimierenden Erklärung als einer Defensive33. Das galt nun in
erster Linie für das Verhältnis der Deutschen zum Polentum, allerdings in einem tieferen Sinne,
als Bismarck jemals deutlich zum Ausdruck brachte und der sich auch mit der nationalen Parole
allein nicht mehr fassen ließ.

Die dem äußeren Anschein nach vergleichsweise friedlichen Maßnahmen, wie das preußische
Ansiedlungsgesetz von 188634, mit mehreren Abänderungen und Erweiterungen seiner

30 Ergänzende Hinweise zu statistischen Quellen unten Anm. 46.

31 Helmut Neubach: Die Ausweisung von Polen und Juden aus Preußen 1885/86. Wiesbaden 1967.
Nach Oncken, Preußen und Polen (wie Anm. 6), S.231, wurden durch diese »nationale Angriffspolitik«
30 000 ausgewiesen. »Es war der stärkste Anlauf [Bismarcks], sich dem Strom der Zeiten entgegenzuwerfen
.« Auch O. Hauser: Polen und Dänen (wie Anm. 7), S. 304f.

32 Hans Rothfels: Bismarck, der Osten und das Reich. Darmstadt 1960. bes. S. 162ff., 173, 540.

33 Hierzu Lothar Gall: Bismarck. Der weiße Revolutionär. Frankfurt a. M./Berlin/Wien 1980. S. 661 ff.

34 Gesetz betreffend die Beförderung deutscher Ansiedlung in den Provinzen Westpreußen und Posen
vom 26. April 1986, Gesetz-Sammlung für die Königlich Preußischen Staaten, 1886, S. 131-134. §1
bestimmte, daß der Staatsregierung ein Fonds von 100 Millionen Mark zur Verfügung gestellt wurde »zur
Stärkung des Deutschen Elements in den Provinzen Westpreußen und Posen gegen polonisirende [!]
Bestrebungen durch Ansiedelungen deutscher Bauern und Arbeiter...« Ältere sachliche Behandlung von
Ludwig Bernhard: Die Polenfrage. Der Nationalitätenkampf der Polen in Preußen. 3. Aufl. München/
Leipzig 1920; neuerdings Gerhard Beier: Bismarcks Ansiedlungsgesetzgebung. In: Beier: Geschichte
und Gewerkschaft. Politisch-historische Beiträge zur Geschichte sozialer Bewegungen (Schriftenreihe Otto
Brenner Stiftung, 24). Köln 1981. bes. S. 225-233.

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