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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1986/0148
Gerhard Schulz

entschieden, obgleich sie noch nicht mit unumstößlichem Ergebnis optierten. Einerseits waren
die bürgerlichen Nationaldemokraten seit 1905 russophil eingestellt, während anderseits die
Lösung vom russischen Reich von einer heterogenen Gruppe angestrebt wurde, die deutlich der
austropolnischen Lösung den Vorzug gab und in Galizien ein politisches Refugium fand; hierzu
zählten auch die national eingestellten Sozialisten.

Oberbefehlshaber und Regierung des Zarenreiches, wie auch Zar Nikolaus II. in persönlichen
Äußerungen, hatten nach Kriegsbeginn wiederholt mit vagen Worten eine künftige
»Wiedergeburt« und »Selbstverwaltung« Polens in Aussicht gestellt, jedoch jeglichen verbindlichen
Akt vermieden. Das anfänglich gefundene Wort »Autonomie« war gestrichen, seine
Ubersetzung ins Französische unterbunden worden.52 Allerdings wurde die Vereinigung aller
einstmals polnischen Gebiete zu einem der wichtigsten erklärten Kriegsziele Rußlands. Dies
respektierten die westlichen Entente-Mächte ebenso wie das Verlangen, die polnische Frage
allein als eine innere Angelegenheit Rußlands zu behandeln. Erst die russische provisorische
Regierung erklärte sich im März 1917, auch gegen erhebliche Bedenken der alliierten Botschafter
in Petrograd, für ein »freies Polen« innerhalb einer russisch-polnischen Militärunion53. Dies
wird man tatsächlich als den historischen Gegenzug zu den deutschen und österreichischen
Entscheidungen betrachten müssen, der gegen anfängliche Vorbehalte der Westalliierten
erfolgte. Doch angesichts der Schwäche des russischen Regimes und der Unsicherheit seiner
Zukunft drängte dann der polnische Exilpolitiker Roman Dmowski die Entente-Mächte seit
September 1917 erfolgreich zu eigenen Schritten, Erklärungen und Akten der Anerkennung,
um jegliche Aussöhnung der Polen mit den Mittelmächten zu unterbinden.

Das im Exil gegründete Polnische Nationalkomitee der nationalen, aber russophilen, auch
antisemitischen Gruppe um Dmowski54 hatte die Anerkennung der europäischen Westmächte
und dank der Wirksamkeit des Pianisten Jan Paderewski und des Eintretens der großen Kolonie
der Amerika-Polen auch das Interesse des amerikanischen Präsidenten gewonnen55. Der
dreizehnte der Vierzehn Punkte in der weltweit beachteten berühmten Kongreßbotschaft
Wilsons vom 8. Januar 1918 sprach von einem künftig »unabhängigen polnischen Staat«, der
»die Gebiete mit unzweifelhaft polnischer Bevölkerung einschließen«, dem ein freier und
sicherer Zugang zur Ostsee und dessen »politische und wirtschaftliche Unabhängigkeit und
territoriale Integrität« durch internationale Vereinbarungen gewährleistet sein sollte56. Unter
dem Eindruck des deutsch-russischen Friedensvertrags von Brest-Litowsk gingen dann die
westeuropäischen Alliierten und die Vereinigten Staaten noch weiter und erklärten sie die
»Wiederherstellung Polens in seinen geographischen und historischen Grenzen«, schließlich,

52 Roth: Entstehung (wie Anm. 49), S. 11, Anm. 3. Über Außenminister Sasonows vergeblichen Vorstoß
beim Zaren Anfang 1914, »erneut die Frage zu prüfen, in welchem Ausmaß vernünftige Wünsche der
polnischen Gesellschaft auf dem Gebiete der Selbstverwaltung, der Sprache, der Schule und der Kirche
allmählich bewilligt werden können«, Dietrich Geyer: Der russische Imperialismus. Studien über den
Zusammenhang von innerer und auswärtiger Politik 1860-1914 (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft
, 27). Göttingen 1977. S.234.

53 Roth (wie Anm.49), S. 127f.; ausführlich Komarnicki (wie Anm. 48), S. 152-160.

54 Feldman: Geschichte (wie Anm. 50), S. 351, 423-429.

55 Komarnicki (wie Anm.48), S. 48ff., 120, 162f., 170-181. V.S.Mamatey: The United States and
Eastern Central Europe 1914-1918. A Study in Wilsonian Diplomacy and Propaganda. Princeton, N.J.
1957. S. 263,312,333; Louis L. Gerson: Woodrow Wilson and the Rebirth of Poland. 1914-1920. A Study
in the Influence on American Policy of Minority Groups of Foreign Origin. New Häven/London 1953.
S. 62-85, 89 ff.

56 Mamatey (wie Anm. 55), S. 177 f.; Komarnicki (wie Anm. 48), S. 201 ff.; vgl. Lawrence E. Gelfand :
The Inquiry. American Preparations for Peace, 1917-1919. New Häven/London 1963. S. 146 ff., 152. Sehr
viel weniger als Wilsons Botschaft besagte in diesem Zusammenhang die Unterhauserklärung des britischen
Premiers Lloyd George am 5. Januar 1918; vgl. Kenneth J. Colder: Britain and the Origins of the New
Europe, 1914-1918. Cambridge 1970. S. 123 ff.

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