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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1986/0154
Gerhard Schulz

eigenständigen deutschen Oststaat zu bilden. Dieser phantastische Plan wurde allerdings
gegenstandslos, als die militärischen Befehlshaber, in realistischer Einschätzung der Lage, ihre
Unterstützung versagten.77

VI.

Auf deutscher Seite empfand man dann nach dem Versailler Vertrag, auch nach den im
Grunde glimpflich verlaufenen Abstimmungen in Oberschlesien, in Südost- und in kleineren
Teilen Westpreußens, gar nach den Empörungen über den polnischen Aufstand, das alliierte
Eingreifen und die Kämpfe im oberschlesischen Abstimmungsgebiet, die Ergebnisse als
ungerecht und unzulänglich78. Die polnische Seite zeigte sich aber nicht weniger über die hinter
den Vorschlägen Dmowskis79 zurückgebliebene Lösung enttäuscht; Südostpreußen, das
Ermland, Danzig, Ostpommern und Restoberschlesien fielen mitsamt jenen übrigen Gebieten
östlich der Oder und Neiße, die Dmowski nie beansprucht hatte, erst nach dem zweiten
Weltkrieg an Polen. Die beiderseitige Enttäuschung mit traumatischen Folgen, die auch die
Politik der alliierten Großmächte noch Jahre hindurch beeinflußte80, zog anhaltende Belastungen
und in ostdeutschen Grenzgebieten zeitweilig schwere Beunruhigungen nach sich, die eine
Normalisierung der deutsch-polnischen Beziehungen verhinderten81.

Vieles spricht dafür, die Entwicklung dieser Beziehungen in drei Phasen zu teilen, die
weithin von der Entwicklung der europäischen Politik beeinflußt wurden. Die erste, die bis zum
Vorabend von Locarno (1925) reichte, stand in Deutschland unter dem Eindruck der auf
verschiedenartige Weise erfahrenen Niederlage mitsamt ihren Folgen und war von dem
Bedürfnis nach einer zur Wende führenden neuen politischen Methode beherrscht, während
Polen das Gegengewicht seiner Macht durch enge Bindung an Frankreich verstärkte. In der
zweiten Phase, seit 1925, unterlag Polen dem wachsenden deutschen Gegendruck, angesichts
seiner offenkundig zunehmenden wirtschaftlichen und finanziellen Schwäche. Die dritte Phase
schließlich, ab 1930, eine Phase der in die Außenpolitik überbordenden innerpolitischen
Probleme und Spannungen, brachte neue veränderte Beziehungen Polens zur Sowjetunion und
dann, nach der nationalsozialistischen Machtergreifung in Deutschland, die zweitweilige
Lösung Polens aus dem französischen Bündnissystem.

Die von beiden Seiten nie als endgültig betrachtete und nie hingenommene Grenze, deren

77 Hagen Schulze: Der Oststaat-Plan 1919. In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 18 (1970) S. 123-163;
vorher schon Dieter Hertz-Eichenrode: Politik und Landwirtschaft in Ostpreußen 1919-1930.
Untersuchungen eines Strukturproblems der Weimarer Republik. Köln/Opladen 1969. S. 4 ff.

78 Vgl. Peter Nitsche: Der Reichstag und die Festlegung der deutsch-polnischen Grenze nach dem
Weltkrieg. In: Historische Zeitschrift 216 (1973) S. 335-361.

79 Roman Dmowski hatte in Polen niemals ein Ministeramt inne. Aber die Regierung Paderewski
ernannte ihn zum Vertreter Polens auf der Pariser Friedenskonferenz, wo er für seine eigenen Vorstellungen
und Forderungen eintrat, die für die Begründung wie für die spätere Politik des polnischen Staates
maßgebende Bedeutung erlangten.

80 Piotr S. Wandycz: France and Her Eastern Allies 1919-1925. Minneapolis, Min. 1962; hierzu auch
Jürgen Heideking: Areopag der Diplomaten. Die Pariser Botschafterkonferenz der alliierten Hauptmächte
und die Probleme der europäischen Politik 1920-1931 (Historische Studien, 436). Husum 1979.
S. 69-101.

81 Aus der Literatur über die deutsch-polnischen Beziehungen nach dem Friedensvertrag seien genannt
Josef Korbel: Poland between East and West, Princeton, N.J. 1963; Volkmar Kellermann: Schwarzer
Adler - Weißer Adler. Die Polenpolitik der Weimarer Republik. Köln 1970; Harald v. Riekhoff:
German-Polish Relations 1918-1933. Baltimore 1971. Zur steten Überschätzung-deutscher Angriffsabsichten
und militärischer Dispositionen vor 1933/34 in Plänen des polnischen Generalstabs J. R. Godlewski:
Die militärische Bedrohung Deutschlands in den Augen polnischer Militärkreise in den Jahren 1922-1939.
In: Deutsch-polnisches Jahrbuch 1979/80 der Deutsch-polnischen Gesellschaft Bremen/Bremerhaven e.V.,
S. 8-115.

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