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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1986/0155
Preußen, Deutschland und die polnische Frage

Legitimation auf deutscher Seite ebenso umstritten war und bestritten wurde wie später die
Westgrenze Polens von 1945, die keinen Friedensvertrag zur Grundlage hat, aber auch die durch
den Friedensvertrag eröffnete Regelung sowohl einer nationalen Option der Bevölkerung der
abgelösten Gebiete als auch der Liquidation der deutschen Vermögen jenseits der neuen
Reichsgrenze beschworen nicht abreißende Spannungen und Konfrontationen herauf, unter
denen die polnischen Repressalien im »Korridor«-Verkehr am belastendsten wirkten82. Es fällt
auch dem durch zwei Weltkriege Belehrten schwer, die objektiven Gegebenheiten und die
natürlichen Verhaltensweisen gegeneinander abzuwägen.

Dies begann, als im Verlauf des polnisch-russischen Kriegs die verbliebene deutsche
wehrfähige Bevölkerung mobilisiert und somit zur politischen Option gezwungen wurde83.
Auf Grund des Friedensvertrags war allen Deutschen, die länger als zehn Jahre vor Kriegsende
innerhalb der an Polen gefallenen Gebiete ihren Wohnsitz hatten, ein Recht auf Option
eingeräumt. Diejenigen, die für Deutschland optierten, durften schließlich innerhalb einer
bestimmten Zeit ihre mobilen Vermögenswerte transferieren. Ihre Immobilien verfielen der
Liquidation, d. h. einem Verkaufszwang innerhalb einer kurz angesetzten Frist, dem grundsätzlich
alle Vermögenswerte deutscher Reichsangehöriger unterlagen. Die Durchführung84 fußte
auf Interpretationen von Bestimmungen des Friedensvertrags, die sich zu Lasten der verbliebenen
, nicht nur der voreilig gewichenen Deutschen auswirkten. Sie sollten sich erklärtermaßen
- auch in Verbindung mit der Zurückdrängung deutscher Schulen - im Sinne einer Entdeut-
schungspolitik auswirken, was der polnische Ministerpräsident Sikorski im April 1923 in einer
Rede in Posen deutlich unterstrich85. Erst im Zusammenhang mit der Annahme des Young-
Plans wurde ein deutsch-polnisches Liquidationsabkommen am 31. Oktober 1929 abgeschlossen
und vom Reichspräsidenten am 18. März 1930 unterzeichnet86. Es setzte der Enteignung
deutschen Grundbesitzes ein Ende, während das Deutsche Reich die Abfindung der Liquidationsgeschädigten
übernahm. Hierdurch sollten die Konflikte und die durch sie bewirkten
deutsch-polnischen Dauerspannungen in einem gravierenden Punkte aufgelöst werden.

82 Hinweise auf den Korridor-Verkehr bei Hertz-Eichenrode (wie Anm. 77), S. 16ff.; neuerdings
gründlicher Gerhard Wagner: Deutschland und der polnisch-sowjetische Krieg 1920 (Veröffentlichungen
des Instituts f. europäische Geschichte Mainz, 93). Wiesbaden 1979. S. 29ff.; über Wirtschaftslage
und politische Bestrebungen in Ostpreußen Hertz-Eichenrode, S. 269-276, 282-296; zur militärischen
Seite Vogelsang: Reichswehr (wie Anm. 73), S. 45ff., 157ff.

83 Wagner: Deutschland (wie Anm. 82), bes. S. 148-171.

84 Hierzu Gotthold Rhode: Das Deutschtum in Posen und Pommerellen in der Zeit der Weimarer
Republik. In: Die deutschen Ostgebiete zur Zeit der Weimarer Republik (Studien zum Deutschtum im
Osten, 3). Köln/Graz 1966. bes. S. 104ff.; Hans Roos: Polen zwischen den Weltkriegen. In: Osteuropa-
Handbuch: Polen, hrsg. von Werner Markert. Köln/Graz 1959. S.29f.; zusammenfassende Darlegung
von Helmut Lippelt: »Politische Sanierung«. Zur deutschen Politik gegenüber Polen 1925/26. In:
Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 19 (1971) S. 325ff., 330f.; Riekhoff (wie Anm. 81), S.68f.

85 Lippelt (wie Anm. 84), S. 328. Auf der anderen Seite war die Schulpolitik der preußischen Regierung
gegenüber den Polen kaum weniger auf eine Entpolonisierung bedacht. Außerhalb des Sonderstatus der
Provinz Oberschlesien ließ sie Minderheitenschulen erst 1928, auf Druck der Reichsregierung, zu. So
Martin Broszat: Außen- und innenpolitische Aspekte der preußisch-deutschen Minderheitenpolitik in
der Ära Stresemann. In: Politische Ideologien und Nationalstaatliche Ordnung. Studien zur Geschichte des
19. und 20. Jahrhunderts, Festschrift für Theodor Schieder, hrsg. von Kurt Kluxen und Wolfgang
J. Mommsen. München/Wien 1968. S. 393-445. Allerdings verlor sich der Nationalitätenkontrast nach 1919
offenkundig mit der Entfernung von der Grenze und den nationalen Grenzkämpfen. So, noch ohne
Kenntnis der von Broszat benutzten Akten, Richard Breyer: Das Deutsche Reich und Polen 1932-1937.
Außenpolitik und Volksgruppenfragen. Würzburg 1955. S. 275ff. Vgl. Jörg K. Hoensch: Zu den
historischen Grundlagen der deutsch-polnischen Beziehungen 1918-1945. In: Bundesrepublik Deutschland
- Volksrepublik Polen. Bilanz der Beziehungen, Probleme und Perspektiven ihrer Normalisierung,
hrsg. von Hans-Adolf Jascobsen, Carl-Christoph Schweitzer, Jerzy Suzek, Lech Trzeciakowski.
Frankfurt a. M./Warszawa 1979. S. 10, mit Anmerkungen von Krasuski; Riekhoff (wie Anm. 81), S. 196f.

86 Schulthess 1929, S. 195; 1930, S.78f.

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