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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1991/0125
»Nauf auf d'Stang«

zu verdrängen. An seine Stelle traten dann im 2. Viertel des 19.Jahrhunderts unter dem
Einfluß des rheinischen Karnevals neue Formen des Fastnachtsbrauchtums wie Kostümfeste,
Maskenbälle und Theateraufführungen, die zumeist in geschlossenen Räumen abgehalten
wurden. Diese Entwicklung, die die Fastnacht im gesamten Südwesten Deutschlands erfaßt
hatte, wurde von Mezger einmal treffend als »Veredelung und Karnevalisierung« der Fastnacht
charakterisiert.

Während jedoch beispielsweise in Rottweil oder auch in Rottenburg a. N. die alten
Fastnachtsbräuche wenigstens kümmerlich neben der neuen weiterlebten und dann auch am
Anfang dieses Jahrhunderts als »schwäbisch-alemannische Fasnet« wieder zu neuer Blüte
erweckt werden konnten, hat die Aufklärung in Sigmaringen ganze Arbeit geleistet. Alle
Formen des früheren Fastnachtsbrauchtums waren mit Ausnahme des Bräuteins spätestens
um 1820 außer Übung gekommen.

Der Grund dafür muß vor allem darin gesehen werden, daß in der kleinen Stadt
Sigmaringen, seit 1806 Residenz- und Landeshauptstadt eines souveränen Fürstentums, das
gebildete Beamtentum und auch das mittelständische Bürgertum, das die neuen Formen der
Fastnacht mit Unterstützung des Fürstl. Hofes aufgegriffen hatte, überproportional stark
vertreten war. In dieser Atmosphäre war für die frühere Fastnacht der Gesellen und Ledigen,
die mehr den Unterschichten angehörten, kein Raum mehr vorhanden.

Die Fastnacht spielte sich in den verschiedenen, gesellschaftlich abgeschichteten Zirkeln
und Vereinen der Stadt Sigmaringen ab. Zu nennen sind in ihrer hierarchischen Ordnung vor
allem die Museumsgesellschaft, der Bürgerverein, der Männerchor und der Gesangverein
»Frohsinn«. Die Straßenfastnacht hingegen war im 19. Jahrhundert und dann auch bis in die
Zeit vor dem 1. Weltkrieg die Domäne der alteingesessenen Sigmaringer Geschäftsleute, die
zur Organisation und Durchführung der Festumzüge und des Bräuteins Komitees bildeten.
Von 1848 bis 1872 wurde diese Aufgabe von dem »Narrenkomitee der Residenzstadt
Sigmaringen« unter dem Narrenkönig »Fuchs von Kurios« alias Josef Glas wahrgenommen.
Dann übernahm die Gesellschaft »Bau« die Leitung des Festzugs und des Bräuteins am
Fastnachtsdienstag. Nach 1900 bildeten sich dann jeweils ad hoc Komitees mit wechselnden
Zusammensetzungen.

Wichtig für die Entwicklung der bürgerlichen Fastnacht in Sigmaringen war der Anschluß
der hohenzollernschen Fürstentümer an Preußen im Jahr 1850. Durch die regen Beziehungen,
die sich danach zwischen den Hohenzollernschen Landen und der preußischen Rheinprovinz
entwickelten, wurde die Karnevalisierung der Sigmaringer Fastnacht beschleunigt. Prinz
Karneval hielt Einzug in Sigmaringen. Nach 1850 und dann vor allem nach der Rückkehr des
Fürsten Karl Anton von Hohenzollern 1871 nahm die Sigmaringer Fastnacht dann auch
zunehmend einen höfischen Charakter an. Die Bräutlingsfeiern der Fürsten und der Prinzen
wurden immer häufiger zum Anlaß genommen, die Geschichte und die Stellung des Fürstl.
Hauses Hohenzollern zu würdigen und herauszustreichen.

Trotz prächtiger Festzüge und glänzender Darbietungen steuerte die Sigmaringer Fastnacht
in der Zeit vor dem 1. Weltkrieg in eine tiefe Krise hinein. Die Gründe hierfür waren der
berühmt berüchtigte Sigmaringer Kastengeist, die Untaten des »Lumpendunkers«, eines
Sigmaringer Originals, und vor allem die elitär gewordene Fastnacht, die dem Empfinden der
Narren nicht mehr entsprach.

Um die Krise zu überwinden, gründeten 1912 Sigmaringer Bürger, die vornehmlich dem
Mittelstand angehörten oder doch aus ihm hervorgegangen waren, die Fastnachtsgesellschaft
»Vetter Guser«. Die Bezeichnung der Gesellschaft, hinter der sich, wie wir gesehen haben, der
legendäre Narrenkönig »Fuchs von Kurios« alias Josef Glas verbarg, war Programm. Die
Gründer des »Vetter Guser« hatten sich die Aufgabe gestellt, die Fastnacht aus der Zeit vor
1873 wieder zu neuem Leben zu erwecken, eine Annahme, die auch durch das Symbol der
Fastnachtsgesellschaft, die Fledermaus, die um 1870 aus dem Kleid der Sigmaringer Bürgersfrauen
entstanden war, gestützt wird.

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