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125 Jahre Hohenzollerischer Geschichtsverein
Hohenzollern abzeichne, seinen Verpflichtungen entziehen, die geistigen Voraussetzungen für
eine Erhaltung und Fortführung der besonderen heimatlichen Traditionen zu schaffen. Sein
zweiter Vorwurf galt der zu geringen Motivierung und Aktivierung der Mitgliederschaft
durch den Vorstand: Die Teilnahme an den so seltenen Veranstaltungen wird dadurch auch
nicht verlockender, daß an die Besucher die Ansprüche eines akademischen Seminars gestellt
werden. Das gelte auch für die Zeitschrift: Sie ist jetzt praktisch ein Veröffentlichungsorgan für
akademische Doktorarbeiten. Schließlich beantwortete Baur seine Frage Verein oder Fachorganisation
? dahin, daß der Geschichtsverein zum Beginn seines zweiten Jahrhunderts eher eine
Fachorganisation darstellt, in welcher eine kleine, in reinen wissenschaftlichen Höhen schwebende
Gruppe von der Masse der Mitglieder getragen wird, als ein(en) Verein, in welchem die
zwar vielschichtigen, aber berechtigten Interessen seiner Mitglieder eine verständnisvolle
Pflege erfahren. Der Vorstand, zunächst empört und fassungslos, hat das hier öffentlich
artikulierte Spannungsverhältnis als ein Charakteristikum des landesgeschichtlichen Vereinswesens
begriffen und auf seine Art ausgesessen. Ein Jahrzehnt später nahm Baur die Ehrenmitgliedschaft
an, nach seinem Tod, 1986, wurde dankbar daran erinnert, daß er durch seine
Kritik den Verein um vieles bereichert habe.
Die Frage, ob die neue Vereinsorganisation Bestand haben werde, wenn die Vereinsleitung
einmal in andere Hände gelegt würde, stellte sich schneller als erwartet. 1970 übernahm
Rudolf Seigel eine Professur an der PH Reutlingen, 1972 mußte Eugen Stemmler aus
gesundheitlichen Gründen den Vorsitz abgeben. An die Stelle Seigels als Leiter des Fürstlichen
Archivs kam wiederum ein Historiker aus dem Tübinger Institut, der zugleich als Archivar
ausgebildete Dr. Walter Bernhardt, der auch als Schriftführer des Vereins an Seigels Stelle trat.
Schon im dritten Jahr seiner Sigmaringer Zeit wurde er als Nachfolger Stemmlers in den
Vereinsvorsitz berufen. Es versteht sich von selbst, daß ein von außen kommender, kaum
ansässiger Vereinsfunktionär nicht auf großes Zutrauen bei den alteingesessenen Traditions-
wahrern rechnen konnte. Aber Bernhardt hat sich bald durch seine Arbeiten, vor allem aber
durch die Fortsetzung und - mit Rudolf Seigel gemeinsam - Fertigstellung der »Bibliographie
der Hohenzollerischen Geschichte«, die 1974/75 als Doppelband der Zeitschrift alle Mitglieder
des Vereins erreichte, höchste Achtung erworben. Das Erscheinen der Bibliographie, in
der auch sämtliche Titel der in den Vereinsorganen veröffentlichten Beiträge erfaßt sind, ist
damals nicht nur als Ereignis für Hohenzollern, sondern als ein bedeutsamer Beitrag Hohen-
zollerns zur deutschen Landesgeschichte bezeichnet worden, obgleich es zu diesem Zeitpunkt
Hohenzollern im überlieferten Sinne schon nicht mehr gab.
GESCHICHTSVEREIN OHNE »LANDESGRENZEN«
In den verschiedenen Satzungen des hohenzollerischen Geschichtsvereins ist das Vereins-.
gebiet direkt oder indirekt, im Rahmen der Aufgabenbeschreibung, angesprochen. Bis 1945
waren die Hohenzollerischen Lande, dann die beiden hohenzollerischen Kreise Hechingen
und Sigmaringen Vereinsgebiet. Es war klar, daß der Bildung des Landes Baden-Württemberg
auch die Beseitigung der teils grotesken alten Landesgrenzen aus der napoleonischen Ära
zwischen Württemberg, Baden und Hohenzollern folgen mußte. Wie schon Prinz Franz Josef
auf die Integrität der alten hohenzollerischen Grenzen gepocht hatte, so gab es auf den
Mitgliederversammlungen immer wieder Versuche, dem Verein eine Rolle bei der Erhaltung
Hohenzollerns und der Pflege eines hohenzollerischen Heimatbewußtseins zu geben. Der
Vorstand ließ das gelassen an sich vorbeigehen. Erst 1970, als die Auflösung des Landeskom-
munalverbandes und die Neugliederung der beiden Kreise schon absehbar war, machte
Dr. Stemmler die Position des Vorstands deutlich: auch wenn die Grenzen Hohenzollerns auf
der Landkarte nicht mehr zu sehen seien, verliere der Verein seine Daseinsberechtigung nicht,
denn seine Aufgabe bleibe die Erforschung der Geschichte Hohenzollerns. Außerdem wies er
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