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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1994-95/0202
Hans Albrecht Oehler

hohepriesterliche Gestalt des Alten Testaments ungläubiges Staunen6 über den Text Ecce
virgo concipiet (Matth. 1,32), den ihr ein Putto vorhält, und der ihr damit das Wunder der
Unbefleckten Empfängnis verkündigt. Die Gesetzestafeln zu ihren Füßen sind in für die
Gemeinde und für die Mehrzahl der Geistlichen unentzifferbaren hebräischen Zeichen
numeriert. Gegenüber auf dem Ehrenplatz der Evangelienseite erhebt die Kirche in Papstgestalt
stolz ihr Tiara-gekröntes Haupt. Der Putto, der sie begleitet, weist auf das allen vertraute
Ave Maria hin.

Für den Haigerlocher Hochaltar schuf nun Weckenmann ebenfalls eine Gestalt der
Ecclesia. Aber dafür übernimmt er nicht einfach die Papstgestalt Christians7. Barfüßig tritt
seine Personifikation der Kirche auf, und ihr Lockenhaupt trägt sie frei: die Tiara ist auf das
Bibelbuch unter ihrem linken Arm abgesetzt. Und mit der Rechten weist sie auf die große
Geist-Taube, die auf ihre Brust geheftet scheint. Vor allem aber ist sie - abweichend von ihrem
Zwiefalter Vorbild - in ihrer Haltung für die - vom Beschauer aus - rechte, die Epistelseite des
Altars konzipiert und dort auch aufgestellt.

Auf der ehrenvollen Evangelienseite steht in Haigerloch die ansprechendste unter den
Altarfiguren Weckenmanns8. Uber dem langen Unterkleid, das die bloßen Knöchel umspielt,
trägt sie ein halblanges Obergewand, dessen Bahnen ein Windstoß anzuheben scheint, das
aber von einem goldenen Gürtel zusammengehalten wird. Ihr Haupthaar verhüllt ein Kopftuch
oder Schleier. Mit der Rechten hält sie die Gebotstafeln vor ihrer Hüfte fest; sie wendet
sich aber in Körperhaltung und Blickrichtung dem Kelch zwischen den gespreizten Fingern
ihrer Linken zu und zum Gnadenbild hin. Wer ist hier dargestellt?

Als zu Anfang unseres Jahrhunderts das Interesse für die Kunst des Barock und des
Rokoko wieder erwachte, und man die Haigerlocher St. Anna-Kirche und ihren Hochaltar
beschrieb, sah man in dieser Figur die Synagoge, die Personifikation des Alten Bundes9. Die
Präsenz der Ecclesia auf der anderen Seite desselben Altars und die Abhängigkeit des ganzen
Altars von seinem Zwiefaltener Vorbild legten den Gedanken nahe, daß auch hier die
Synagoge der Ecclesia gegenübergestellt sein müsse. Die Gebotstafeln als Attribut stimmten
dazu und schienen die Identifizierung zu bestätigen. Allerdings sah man dabei über die
Tatsache hinweg, daß die Figur in ihrer Kleidung und mit dem Attribut des Kelches nicht dem
ikonographischen Typus der Synagoge entsprach, - ganz im Gegensatz zu der Priestergestalt
in Zwiefalten.

Und warum sollte man hier in Haigerloch der Synagoge den Ehrenplatz auf der Evangelienseite
eingeräumt und sie so über die Kirche gesetzt haben? In den letzten Jahren regte sich
Unbehagen über die alte Zuordnung, allerdings ohne daß bisher eine befriedigende neue
Lösung gegeben worden wäre10. Um sie zu finden, müssen wir uns von Zwiefalten als Vorbild
lösen und andere allegorische Darstellungen aus derselben Zeit und aus der gleichen Region
zum Vergleich heranziehen.

Wie wurden denn Ecclesia und Synagoge dargestellt? Die Kunst der Gegenreformation
hatte manche mittelalterlichen Bildmotive wieder neu aufgegriffen, nur selten jedoch das uns

6 Ernst Michalski: Joseph Christian. Leipzig o.J. (1926) S.31.

7 Weckenmanns Seitenaltarfiguren für die Haigerlocher St. Anna-Kirche, die Heiligen Meinrad und
Fidelis, folgen dagegen sehr eng Vorbildern Joseph Christians, die dieser ca. 1739 für die Sigmaringer
Josephskapelle, also ebenfalls für den Bauherrn Fürst Joseph Friedrich von Hohenzollern-Sigmaringen
geschaffen hatte.

8 Weiss (wie Anm.4)S.87.

9 Wilhelm Friedrich Laur: Die Kunstdenkmäler der Stadt Haigerloch. Stuttgart. 1913. S.23.

10 Weiss (wie Anm.4) weist (S. 87f.) überzeugend nach, daß eine Seitenvertauschung der beiden
Figuren, um der Ecclesia den ihr zustehenden Ehrenplatz einzuräumen, deren Anlage zuwiderlaufen
würde, und setzt sich mit den Überlegungen auseinander, aus dem Verhältnis zwischen der christlichen
und der jüdischen Gemeinde Haigerlochs zur Bauzeit eine befriedigende Erklärung für die überraschende
Bevorzugung der Synagoge zu gewinnen.

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