Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1994-95/0235
Vom Landesspital zum Landratsamt

Selektierung der Mordopfer dienen44. Nach Sigmaringen gelangt über die dortige Regierung
erstmals im Dezember 1940 und ein weiteres Mal im Frühjahr 1941 eine Transportliste der an
einen unbekannten Ort zu verlegenden Geisteskranken aus dem Landeskrankenhaus45. Bei
einer Besprechung wenige Tage vor dem angekündigten Verlegungstermin am 12. Dezember
1940 kann vor allem dank der Initiative von Dr. End, des seinerzeitigen ärztlichen Direktors,
und offenbar auch von Kreisleiter und Landesdirektor Maier die Streichung von etwa
30 Patienten aus der Liste, deren Arbeitseinsatz als für die Anstalt wertvoll deklariert wurde,
erreicht werden. Ein solches, durchaus zweifelhaftes Mitspracherecht der Anstaltsleiter,
welche ihrer Patienten verlegt beziehungsweise zurückgestellt werden, besteht seit April/Mai
1940 allgemein, indem auf den Verlegungsbefehlen seither die Namen von etwa 25 Prozent
mehr Anstaltsinsassen aufgeführt als tatsächlich abtransportiert werden46.

Trotz winterlicher Straßenverhältnisse kommen am 12. Dezember 1940 drei Busse der
GEKRAT nach Sigmaringen, um insgesamt 72 Patienten an einen geheimzuhaltenden Ort
mitzunehmen. Zur Identifizierung der Kranken mußten deren Handrücken mit Tintenstift
mit laufenden Nummern beschriftet werden. Die Ärzte, Schwestern und Pfleger des Landeskrankenhauses
sehen offenbar die Verlegung ihrer Patienten zunächst im Zusammenhang mit
einer kriegswirtschaftlichen Maßnahme. Als indessen zwei bis drei Wochen nach dem
Abtransport der Kranken der größte Teil von deren mitgenommenen Sachen, darunter nach
Aussage von Schwestern und Pflegern auch Kleidungsstücke, die die Patienten am Verlegungstag
am Leib getragen hatten, wieder nach Sigmaringen zurückgeschickt werden, macht
sich Mißtrauen breit. Kurze Zeit später treffen Todesnachrichten aus der Tötungsanstalt
Grafeneck bei Münsingen, in deren Zuständigkeitssprengel auch das Landeskrankenhaus liegt,
in Sigmaringen ein.

Ende Februar 1941 wird dem Landeskrankenhaus abermals durch ein Schreiben über die
Sigmaringer Regierung sowie direkt durch eine Mitteilung der württembergischen Heilanstalt
Weinsberg die Verlegung von weiteren 34 Geisteskranken angekündigt. Wiederum kann unter
Verweis auf die für das Landeskrankenhaus wichtige Arbeitskraft der jeweiligen Kranken eine
Streichung der Transportliste auf schließlich noch 19 Patienten erreicht werden. Nachdem
mittlerweile das Schicksal der von einer Verlegung bedrohten Kranken zumindest gerüchteweise
bekannt war, herrscht in den folgenden Tagen und Wochen bis zur angekündigten
Verlegung im Landeskrankenhaus eine ganz enorme Spannung. Wir warteten in Angst und
Bangen, beschreibt eine der Ordensschwestern in einem Brief aus jener Zeit die Stimmung bei
den Schwestern, Pflegern, Ärzten und Patienten. Die Ordensfrauen feiern mit ihren von der
Ermordung bedrohten Kranken im Vinzenzhaus und Annahaus in dieser Situation ein um vier
Wochen vorverlegtes Osterfest mit Beichte und Abendmahl47.

Die Verlegung von 19 Patienten erfolgt schließlich am 14. März 1941 auf Weisung des
Sigmaringer Regierungspräsidenten mit einem Bus des Kreisverkehrsbetriebs und in Beglei-

44 Vernehmung von Dr. Hans Hüetlin am 23.3.1946 durch das Amtsgericht Sigmaringen in der
Strafsache gegen Dr. Hüetlin u. Dr. End wegen des Vorwurfs der Freiheitsberaubung etc. (StAS WÜ29/3,
Bd. 1, Nr. 1757); vgl. außerdem Aussage des Krankenpflegers Anton Pfänder am 25.10.1945 in derselben
Strafsache (ebenda).

45 Zu den Begleitumständen der beiden Verlegungen v. Dezember 1940 u. v. April 1941 vgl. die
Aussagen des Krankenpflegers Anton Pfänder sowie der Dres. End u. Hüetlin in der Strafsache gegen
Dr. Hüetlin u. Dr. End wegen des Vorwurfs der Freiheitsberaubung etc. (wie Anm. 44) sowie von Karl
Maier, des ehemaligen NSDAP-Kreisleiters von Hohenzollern-Sigmaringen, Dr. Hans Berger, ehedem
Amtsarzt in Sigmaringen, Dr. Friedrich End, des ehemaligen ärztlichen Direktors des Landeskrankenhauses
, Dr. Konrad Haug, des ehemaligen Leiters des Landeswohlfahrtsverbandes beim Landeskommunal-
verband, und der Vinzentiner-Schwester Salome in den Untersuchungsakten der Staatsanwaltschaft
Tübingen zum Grafeneck-Prozeß (wie Anm. 43).

46 Vgl. Schmuhl (wie Anm. 36) S. 204 f.

47 Abschrift eines Schreibens von Schwester Maura an Dr. Hüetlin v. 8.3.1941 (StAS WÜ29/3, Bd. 1,
Nr. 1757).

233


Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1994-95/0235