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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1994-95/0247
Die psychiatrische Abteilung des Fürst-Carl-Landeskrankenhauses in Sigmaringen im »Dritten Reich«

Und aus Angst vor einer Wiederholung dieser quälenden Prozedur blieb ich eine ganze Weile
still. Je weniger ich den Sinn dieser Gefangenschaft begriff, um so größer wurde meine Angst.
Schließlich verlangte ich in das kleine Separatzimmer gelegt zu werden. Denn ich wollte nicht
ständig vor Augen haben, was an »Beruhigungsmaßnahmen« im Saal geschah. Hier erlebte ich
nun die »nasse Packung«: Ich wurde in nasse, kalte Tücher so fest eingebunden, daß ich mich
nicht bewegen konnte. Durch die Körperwärme wurden die Tücher erst warm und schließlich
heiß. Ich schrie vor Empörung über diese unsinnige Tortur ... Als »Beruhigungsmethode«
hätte das auch auf einen Gesunden nicht wirken können ... Inzwischen wußte ich, daß wir hier
verwahrt wurden, weil wir »Geisteskranke« waren. Und ich hatte mir geschworen, lieber
geisteskrank zu bleiben, als jemals mir die »geistige Gesundheit« zu eigen zu machen, wie sie
uns hier vorgelebt wurde: Sie schien mir wenig erstrebenswert*.

Bei der Behandlung von chronischen Patienten hatten sich insbesondere in der Anstaltspsychiatrie
Therapieformen durchgesetzt, die auch aus heutiger Sicht noch als fortschrittüch
angesehen werden können: In der Anstalt Gütersloh entwickelt, von der Heil- und Pflegeanstalt
bei Konstanz vorbildlich ausgebaut, wurde die Arbeitstherapie vorherrschendes therapeutisches
Konzept an fast allen Anstalten während der Weimarer Republik. Die Arbeitstherapie
sucht möglichst viele Patienten - akute und chronische - der bloßen Verwahrung zu
entreißen und sie gemäß ihren Fähigkeiten in einen Arbeitsprozess zu integrieren5.

Ein zweiter therapeutischer Ansatz, überwiegend für chronische Patienten gedacht, war
die Wiederaufnahme der sogenannten »Familienpflege«, das heißt der Unterbringung solcher
Patienten in einer Gastfamilie, die hierfür eine Aufwandsentschädigung erhielt.

Drittes wichtiges Konzept war die sogenannte »Frühentlassung« von Patienten mit
anschließender »Außenfürsorge«. Relativ frühzeitig wurden nach diesem Konzept nur mäßig
gebesserte Patienten entlassen und vom Anstaltsarzt vor Ort, zu Hause, weiterbetreut.

Der Sonderstatus der Hohenzollerischen Lande wirkte sich für die psychiatrische Abteilung
des Fürst-Carl-Landeskrankenhauses dergestalt aus, daß sie Abteilung und Anstalt in einem war.
Sie mußte akut behandlungsbedürftige und chronische Patienten aufnehmen, behandeln und
verwahren. Schwerpunkt war die Behandlung chronischer Patienten, ohne über die großzügigen
Areale, Ausstattungen und therapeutischen Angebote der Anstalten zu verfügen. Die Sigmaringer
Nervenabteilung hatte die Aufgabe, alle in der Hohenzollerischen Landen psychiatrisch
Erkrankten aufzunehmen. Hohenzollern sollte auf diesem Gebiet autonom bleiben. Die Abteilung
konnte diese Pflicht jedoch weder räumlich noch personell erfüllen.

Erst seit dem 1. Oktober 1932 war überhaupt ein Facharzt für Psychiatrie - der erste
Facharzt in Sigmaringen - an der dortigen Abteilung tätig. Zuvor waren die vier Stationen -
Engelsburg, Anna-, Vinzentius- und Johannes-Haus - von Dr. End geleitet worden, der
zugleich chirurgisch, internistisch und frauenärztlich tätig war. Dr. Friedrich End war vom
13.3.1919 bis zu seiner Pensionierung am 1.4.1942 Direktor des Fürst-Carl-Landeskrankenhauses
. Als ärztlicher Vorstand leitete er zugleich die Nervenabteilung bis zum Amtsantritt
Dr. Hüetlins 1932 und erneut, über seine Pensionierung hinaus, vom i. 12.1940 bis 30.6.1945.
Diese Funktion hielt er inne, obwohl er lediglich vier Monate, und zwar vom Juni bis
September 1904, bei Prof. Dr. Hoche psychiatrisch gearbeitet hatte6.

Die mangelhafte ärztlich-psychiatrische Versorgung, die schon mehrfach von Professor
Dr. Robert Gaupp gerügt worden war, muß anscheinend auch nach Berlin gemeldet worden
sein. Der Verantwortliche, Dr. Schopohl, Ministerialdirektor und Präsident des Landes-

4 Sophie Zerchin: Auf der Spur des Morgensterns. Psychose als Selbstfindung. München 1990.
S. 64-86.

5 Heinz Faulstich: Von der Irrenfürsorge zur »Euthanasie«. Geschichte der badischen Psychiatrie bis
1945. Freiburg 1993. S. 122 ff. Es ist trotz südwestlicher Orientierung mit Schwerpunkt Baden ein
Grundlagenwerk zur deutschen Psychiatriegeschichte.

6 Kreisarchiv Sigmaringen II Acc. 1993/5. Personalakte Dr. Friedrich End. End wurde am 5.11.1876 in
Karlsruhe geboren und starb am 11.9.1964.

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