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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1994-95/0263
Die psychiatrische Abteilung des Fürst-Carl-Landeskrankenhauses in Sigmaringen im »Dritten Reich«

Köpfen wird für diese gänzlich unfruchtbare Aufgabe festgelegt und fördernder Arbeit
entzogen*®.

Hoche fühlte sich, voller Kulturpessimismus, zum Abschluß seiner Ausführungen, zu
einer seine Weltanschauung beleuchtenden Prophetie beflügelt: Es gab eine Zeit, die wir jetzt
als barbarisch betrachten, in der die Beseitigung der lebensunfähig Geborenen oder Gewordenen
selbstverständlich war; dann kam die jetzt noch laufende Phase, in welcher schließlich die
Erhaltung jeder noch so wertlosen Existenz als höchste sittliche Forderung galt; eine neue Zeit
wird kommen, die von dem Standpunkte einer höheren Sittlichkeit aus aufhören wird, die
Forderungen eines überspannten Humanitätsbegriffes und einer Überschätzung des Wertes der
Existenz schlechthin mit schweren Opfern dauernd in die Tat umzusetzen61.

Bemerkenswert ist, daß sich Dr. Hüetlin später, in einem Schreiben vom 8.11.1950, mit
den ethischen Grundsätzen seines Lehrers kurz befaßte. Hüetlin, gebürtiger Freiburger, hatte
überwiegend in Freiburg Medizin studiert und dort am 31.7.1927 sein Staatsexamen abgelegt.
Von 1927 bis 31.7.1932 war er ununterbrochen in der Universitäts-Nervenklinik Freiburg
tätig, seit 1.9.1928 als Abteilungsarzt bei Professor Dr. Hoche62: Bezüglich meiner inneren
Einstellung zur Vernichtungsaktion erübrigt sich im Grunde genommen jedes Wort. Ich selbst
bin nach meinem medizinischen Werdegang aus der Freiburger Universitätsnervenklinik
hervorgegangen. Mein Chef war der auch den Juristen gut bekannte Geheimrat Hoche.
Insofern waren derartige Gedankengänge ... keineswegs neu für mich. Aber gerade deswegen
stand für mich als kath. Arzt immer klar vor Augen, dass es niemals eine ärztliche Aufgabe sein
könne, in einem negativen Sinne in das Leben eines Patienten einzugreifen1'3.

5. DIE DEPORTATION DER ERSTEN PATIENTEN AUS HOHENZOLLERN
NACH GRAFENECK

Die Gedanken von Binding und Hoche waren zwar nicht neu, erfuhren jedoch in den 20er
Jahren eine ungeheuere Resonanz64. In dieser Zeit hielt auch die »Euthanasie« Einzug in viele
rassenhygienische Schriften. So beklagte zum Beispiel ein entschiedener Kritiker rassenhygienischer
Veröffentlichungen, der blinde Dr. Dr. Rudolf Kraemer, daß die »Euthanasie« ein
»geheimes oder zugestandenes Wunschbild« der Rassenhygiene darstelle65.

Es verwundert daher nicht, daß die Tötung sogenannten »lebensunwerten Lebens« bei den
Nationalsozialisten, deren Gedankengut auf der tendenziellen Auslegung rassenhygienischer
Schriften fußte, schon vor 1933 diskutiert und öffentlich verkündet wurde. Hitler hatte bereits
auf dem Nürnberger Parteitag 1929 ein Gedankenspiel vorgestellt: Würde Deutschland
jährlich 1 Million Kinder bekommen und 700000-800000 der Schwächsten beseitigen, dann
würde am Ende das Ergebnis vielleicht eine Kräftesteigerung sein66. Ein Jahr später verkündete

60 Ebd. S. 54-55.

61 Ebd. S. 62.

62 KASII Acc. 1993/5 Nr. 123. Personalakte Dr. Hans Hüetlin. Geboren am 23.3.1904 in Freiburg,
gestorben 6.8.1961. Nachzutragen wäre noch seine Dissertation: über Blutbildveränderungen bei Säugetieren
, unter Anabol und Cancisal, mit einem Anhang über das Blutbild bei Mäuse-Impfcarzinom.
Freiburg, den 22.2.1929, S. 73. Universitätsbibliothek Freiburg.

63 StAS Ho. 310 Nr. 268. Rechtfertigungsschreiben Dr. Hans Hüetlin vom 8.11.1950 auf eine erneute
Anzeige eines ehemaligen Patienten, Dr. D., gegen Dr. Hüetlin und Dr. End wegen Freiheitsberaubung.
S.2.

64 Rolf Winau: Euthanasie und Sterilisation. In: Medizin und Nationalsozialismus. Protokoll23/82
der Evangelischen Akademie-Tagung. Bad Boll 1982. S. 62-76.

65 Rudolf Kraemer: Kritik der Eugenik. Vom Standpunkt des Betroffenen. Berlin 1933. S.21.

66 Adolf Hitler: Der Aufruf an die Kraft! In: Völkischer Beobachter (Bayernausgabe) vom 7.8.1929.
S.l.

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