Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1994-95/0264
Gabriel Richter

Hans Frank, Führer des Nationalsozialistischen Deutschen Juristenbundes, als einen Kernsatz
nationalsozialistischen Strafrechts: Tod dem lebensunwerten Leben67.

Konsequent wurde dieser Kernsatz nach der Machtübernahme umgesetzt, wenngleich er
niemals, trotz mehrerer Entwürfe, Gesetzeskraft erlangte68. Nachdem noch die Möglichkeit,
aus eugenischen Indikationen abzutreiben, 1935 strafrechtlich erlaubt wurde, liefen alle
weiteren Aktionen gegen das menschliche Leben geheim ab. Man sollte diesen Geheimhaltungsbegriff
jedoch relativieren, wie uns Götz Aly zu bedenken gibt: Die Geheimhaltung der
Krankentötung war keine Geheimhaltung im Sinne der strengen Abschirmung, sondern ein
praktikables Angebot an die Bevölkerung, staatlichen Maßnahmen stillschweigend zuzustimmen
oder juristisch gesprochen: sie billigend in Kauf zu nehmen69.

Bereits vor Kriegsbeginn, im Frühjahr 1939, wurde die »Kindereuthanasie« vorbereitet
und begonnen. Nach Kriegsbeginn folgte ab Oktober die »Erwachseneneuthanasie«. Mit
folgendem Schreiben legitimierte Hitler die zweite Front im Inneren, den »Krieg gegen die
psychisch Kranken«70. Um dies auszudrücken datierte er das Schreiben zurück auf den
1. September 1939, dem Datum des Überfalles auf Polen: Reichsleiter Bouler und Dr. med.
Brandt sind unter Verantwortung beauftragt, die Befugnisse namentlich zu bestimmender
Ärzte so zu erweitem, dass nach menschlichem Ermessen unheilbar Kranken bei kritischster
Beurteilung ihres Gesundheitszustandes der Gnadentod gewährt werden kannn. Eine euphemistische
Formulierung: Es ging nicht um den Gnadentod, sondern um gnadenlose Tötung.

Zunächst wurden daraufhin durch Versand von Meldebögen am 21.9.1939 sämtliche
Anstalten erfaßt, die »lebensunwertes Leben« beherbergten. Das Begleitschreiben ging am
25.9. beim Regierungspräsidium der Hohenzollerischen Lande ein. Bald darauf - das genaue
Datum für Sigmaringen kennen wir nicht - erhielt Dr. Hüetlin selbst Meldebögen. Er sollte
damit alle Patienten melden, die an den folgenden Erkrankungen litten: Schizophrenie,
Epilepsie, senile Erkrankungen, Paralyse, Schwachsinn jeder Ursache, Encephalitis, neurologische
Endzustände; ferner, wer mindestens fünf Jahre lang in Anstalten untergebracht oder
als krimineller Geisteskranker verwahrt war, wer als Kranker nicht die deutsche Staatsbürgerschaft
besaß oder nicht »deutschen oder artverwandten Blutes« war. Eine gesonderte Zeile war
einer Eintragung über die Arbeitsfähigkeit vorbehalten72.

Zu den Meldebögen schrieb Dr. Hüetlin später: Wohl im Herbst 1939 musste ich kraft
meines Amtes als leitender Arzt der Nervenabteilung über sämtliche zur damaligen Zeit hier in
der geschlossenen Abteilung untergebrachten Geisteskranken Formulare ausfüllen, die mir von
meiner vorgesetzten Behörde - Landeskommunalverband der Hohenz. Lande - zu diesem
Zweck dienstlich zugesandt wurden. Ich habe diese Formulare, nicht ahnend zu welchem
Zweck sie dienten, nach bestem Wissen und Gewissen ausgefüllt. Es war damals üblich, dass
immer Formulare verschiedendster Art ausgefüllt werden mußten. Die Ausfüllung dieser
Formulare war allerdings zeitraubend und deshalb ärgerlich n.

Aufgrund dieser Meldebögen wurden in Berlin in der Tiergartenstraße 4 (»Aktion T 4«),
nach »Begutachtung« durch ein eigens zu diesem Zwecke gedungenes Ärztekollegium, zum
Teil geachtete Autoritäten ihres Faches, Transportlisten zusammengestellt. Federführend für
alle weiteren parastaatlichen Organisationen trat die »Reichsarbeitsgemeinschaft Heil- und
Pflegeanstalten« (RAG) auf. Sie war für die Verwaltung der Patienten, der Mordopfer

67 Hans Frank: Der Kampf um deutsches Recht. In: Nationalsozialistische Monatshefte 1 (1930) S. 298.

68 Karl-Heinz Roth und Götz Aly: Das »Gesetz über die Sterbehilfe bei unheilbar Kranken«. In:
Erfassung zur Vernichtung. Hg. von Karl-Heinz Roth. Berlin 1984. S. 101-120.

69 Aly (wie Anm. 2) S. 65.

70 Dörner (wie Anm. 2). Titel der Schrift.

71 Zu finden in: Eduard Seidler, Gabriel Richter u.a.: Recht zur Auslese ...? Die Heil- und
Pflegeanstalt Emmendingen und die »Euthanasie« im Dritten Reich. Emmendingen 19922. S. 82.

72 Ebd. Nr. 24-25.

73 Hüetlin (wie Anm. 63) S. 1.

262


Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1994-95/0264