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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1994-95/0265
Die psychiatrische Abteilung des Fürst-Carl-Landeskrankenhauses in Sigmaringen im »Dritten Reich«

zuständig. Die »Gemeinnützige Kranken-Transport-GmbH« (Gekrat) besorgte mit ihren
»grauen Bussen« die Abholungen. Die »Gemeinnützige Stiftung für Anstaltspflege« wickelte die
Besoldung der Beteiligten (Arzte, Schwestern, Pfleger, Chemiker, Kraftfahrer, Bürokräfte usw.),
die Beschaffung von Gebäuden und die Bezahlung der als »Desinfektionsmittel« deklarierten
Giftstoffe ab. Sie war auch für die Verwertung von Schmuck und Zahngold der Hingerichteten
zuständig.

Die eigentliche Vernichtungsaktion begann in dem bei Münsingen gelegenen Grafeneck am
18.Januar 1940. In der ersten Phase der »AktionT 4« wurden in sechs Tötungsanstalten
Menschen ermordet: von Januar bis Dezember 1940 in Grafeneck (Württemberg), von Februar
bis September 1940 in Brandenburg (Brandenburg), von Mai 1940 bis August 1941 in Hartheim
(Osterreich, bei Linz), von Juni 1940 bis August 1941 in Sonnenstein (Sachsen), von September
1940 bis August 1941 in Bernburg (Sachsen-Anhalt) und von Januar bis August 1941 in Hadamar
(Hessen)74.

In den württembergischen und badischen Anstalten erfolgten die ersten Abholungen mit den
»grauen Bussen« direkt nach Grafeneck zwischen Februar und Juni 1940, und zwar in Weinsberg
als erster Anstalt inWürttembergab25.1.1940, in Zwiefalten ab 26.4., in Weißenau ab 20.5., in
Winnenden ab 30.5. und in Schussenried ab 7.6.1940. In Baden liefen die Abholungen in Rastatt
seit 27.2. (die dortige Pflegeanstalt befand sich seit 5.9.39 in Zwiefalten), in Wiesloch seit 29.2., in
Emmendingen seit 5.3., in Reichenau seit 7.5. und in Illenau am 18.5.1940. In der Heil- und
Pflegeanstalt Mariaberg als der Sigmaringen am nächsten gelegenen Einrichtung waren auch
schon am L 10.1940 die ersten Patienten abgeholt und getötet worden75.

Zur gleichen Zeit wurde in Sigmaringen noch der gutachterliche Bericht von Doz. Dr. Ernst
diskutiert, der sich mit der mangelhaften personellen und finanziellen Ausstattung der
psychiatrischen Abteilung befaßte, die Existenzberechtigung der Anstalt in der bestehenden
Form anzweifelte und die Umgestaltung der Abteilung in eine Pflegeanstalt forderte. Erstaunlicherweise
hatte jener Dr. Ernst, späterer Direktor der Anstalt Weinsberg, schon 1939 eine
Ahnung von dem, was später folgen sollte. Seine Darlegungen sollen auch deshalb vorgestellt
werden, weil sie uns in ihrem Tenor eine Vorstellung davon vermitteln, wie damalige Psychiater
für ihre Anstalten warben, mit einem Ja zur Sterilisation und einem Nein zur »Euthanasie«: Die
»Irrenanstalten«, die Heil- und Pflegeanstalten sind nicht abzutun als »Hauser des Jammers und
des Elends«. Sie sind Krankenhäuser wie jedes andere, nicht mehr notwendiges Ühelwie dieses. Sie
sind da, um Deinen Kameraden und Volksgenossen, Deinen Angehörigen und sogar Dich seihst
aufzunehmen, wenn Du erkrankst, um Dir in diesem Falle die bestmögliche Behandlung und
Pflege zukommen zu lassen. Der Kranke, oft sowieso voller Mißtrauen und Ängste, braucht bei
seiner Verbringung dorthin nicht zu fürchten, wie es etwaige Heißsporne tun möchten, als
unbrauchbar getötet zu werden. Er wird nach wie vor als Kamerad in der Volksgemeinschaft

74 Tarnorganisationen und Orte der Vernichtung in Schmuhl (wie Anm.2) S. 194-196 und Aly (wie
Anm.2) S. 12-13.

75 Alle Daten und Fakten in: Grafeneck-Opfer. Lediglich Rastatt mit dem genannten Datum taucht dort
nicht auf. An diesem Datum ist seitens der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen gar kein Transport nach
Grafeneck vermerkt. Nur mit Datum vom 14.5.1940 ist Rastatt vermerkt: »Goddelau über Rastatt in
Zwiefalten«. Zu Rastatt siehe Faulstich (wie Anm. 5) S. 226-229. Stimmen die dortigen Zahlen, so würde
sich die Zahl der in Grafeneck ermordeten Patienten um 408 Patienten vermehren (ebenfalls Faulstich
Anm.367 auf S.353). Hierzu auch Veröffentlichungen zu den lokalen Anstalten: Klaus Billmaier u.a.:
Schriftenreihe des Arbeitskreises »Die Heil- und Pflegeanstalt Wiesloch in der Zeit des Nationalsozialismus
«. Heftl. Wiesloch 1992; Faulstich (wie Anm.5); Heinz Faulstich, Gerhard Baader u.a.:
75 Jahre PLK Reichenau. Reichenau 1988; W. R. Gleinig und W. Gabrysch: Der Weissenhof im Dritten
Reich. Weißenhof 1983; Johannes May u.a.: »Euthanasie« in den staatlichen Heilanstalten Zwiefalten
und Schussenried. Zwiefalten 1991; Robert Poitrot: Die Ermordeten waren schuldig? Baden-Baden
1947; Richter u.a. (wie Anm.39); Tillmann Steinert: Die Geschichte des Psychiatrischen Landeskrankenhauses
Weißenau. Weinsberg 1985; Otto Wurst: Motive und Ziele der Mariaberger Heime im
Wandel der Geschichte. In: 1847-1972 Mariaberger Heime. 1972. S. 43-44.

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