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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1994-95/0267
Die psychiatrische Abteilung des Fürst-Carl-Landeskrankenhauses in Sigmaringen im »Dritten Reich«

Jedenfalls, so Maier, hätten Dr. End und er wirtschaftliche Gründe geltend gemacht, um
Patienten von der Transportliste zu streichen. Angesichts der Auseinandersetzungen um das
Schreiben von Dr. Ernst wirken diese Einwendungen relativ glaubwürdig: Kurz vor der ersten
Verlegung (5.12.1940) teilte mir Dir. Reden mit, dass auf Grund einer Anordnung des
Reichsverteidigungskommissars, die über das Wurtt. Innenministerium eingegangen sei, Verlegungen
von Geisteskranken stattfinden würden. Da vorher schon der Plan bestanden hatte, die
Irrenabteilung des Landeskrankenhauses aufzulösen und mit Württ. Anstalten zu einer
zentralen Irrenanstalt zu vereinigen, wenigstens gingen Gerüchte über eine derartige verwaltungsmäßige
Umorganisation die mich beunruhigten, so wehrte ich mich aus finanziellen
Gründen gegen diese Verlegung91.

Zur Frage von Streichungen ist anzumerken, daß aus anderen und eigenen Untersuchungen
hervorgeht, daß die Zurückstellung von ca. 25 Prozent der auf der Liste aufgeführten
Patienten geduldet wurde, wenngleich die jeweiligen Direktoren selbst nur zum Teil von einer
solchen Duldung wußten82. Mehrfach, wie eben auch in Sigmaringen, wurden Listen mit
90-100 Patienten vorgelegt, obwohl die Kapazität der »grauen Busse« und der Gaskammern in
Grafeneck selten 75 Personen überschritt. Die Möglichkeit, Patienten zu streichen, zwang die
Anstaltsleiter, selbst zu selektieren; ein sehr zweifelhafter Vorteil. Die sogenannte »Gemeinnützige
Krankentransport GmbH« hatte auch nach Sigmaringen nur 3 Busse mit einer
Kapazität von 75 Personen entsandt83.

Da Regierungsdirektor von Reden während der Untersuchungshaft starb, wissen wir
lediglich, daß Dr. Berger vor der ersten Abholung vom wahren Ziel des Transportes unterrichtet
war. Er räumte im Grafeneck-Prozess ein, daß er Anfang Dezember 1940 von Dr. Mauthe,
der als Obermedizinalrat und Berichterstatter für das Irrenwesen im Württembergischen
Innenministerium einer der Hauptverantwortlichen für die »Euthanasie« in Württemberg
war, eingeweiht worden sei. Dr. Hans Berger war neben seiner Tätigkeit als Leiter des
Gesundheitsamtes zugleich Medizinalreferent für die kommunalen und staatlichen Angelegenheiten
im Regierungspräsidium. Damit war er eigentlich für Hohenzollern in einer
vergleichbaren Position, wie Dr. Stähle oder Dr. Mauthe im württembergischen Innenministerium84
.

Für den 12.12.1940 5.30 Uhr waren die Transportfahrzeuge angesagt. Da in der Nacht
starker Neuschnee gefallen sei und die schweren, dreiachsigen Wagen mehrfach steckengeblieben
waren, kamen die »grauen Busse« erst gegen 11 Uhr in Sigmaringen an. Bei den
Anwohnern des Brunnenbergs und in der Leopoldstraße hätte der Konvoi Aufsehen erregt.
Die Polizei erstickte jedoch jede weitere Neugierde, indem sie das Gebiet absperrte85.

Von den weiteren Vorgängen gibt uns Dr. End Bericht: Am 12.12.40 etwa gegen 11 Uhr
wurde ich auf die Verwaltung gerufen, woselbst Herr Oberinspektor Hurm und der Transportführer
anwesend waren. Letzterer erklärte, daß er beauftragt sei, die Kranken abzuholen,
die Autos würden gegen 3 Uhr erscheinen. Auf die Frage, in welche Anstalt die Kranken
überführt werden, erklärte er, das sei noch geheim zu halten. Die Angehörigen würden von
dort aus benachrichtigt. Er überreichte eine Liste, in der die zu überführenden Kranken mit
laufenden Nummern aufgeführt waren und bat, daß die Nummern den Kranken auf den
Handrücken mit Tintenstift aufgeschrieben werden sollten86. Dr. End, der für die unruhigen

81 Grafeneck-Sigmaringen. Aussage Karl Maier vom 16.1.1948.

82 Richter und Faulstich (wie Anm. 80) S. 84-91; FAULSTicH(wie Anm. 5) S. 244-245; Schmuhl (wie
Anm.2) S. 204-205.

83 Karl Morlok: Wo bringt ihr uns hin? »Geheime Reichssache« Grafeneck. Stuttgart 19902, S. 46ff.

84 Grafeneck-Sigmaringen. Aussage Dr. Hans Berger vom August 1948.

85 Zwei graue Omnibusse fuhren vor ... Wie die Geisteskranken des Fürst-Carl-Landeskrankenhauses
von Sigmaringen nach Grafeneck transportiert wurden. Südkurier Nr. 80 vom 9./10. Juli 1949. S. 8.

86 Grafeneck-Sigmaringen. Aussage Dr. Friedrich End vom 18.7.1947.

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