Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1994-95/0282
Gabriel Richter

bewahrheitet. Auch auf ärztlichem Gebiet hatte sich der Ungeist, ja der antichristliche Geist
des »Dritten Reiches« schwer ausgewirkt. Von raffiniert angelegten, scheinheiligen, strafwürdigen
Gewaltmassnahmen war auch unser Krankenhaus nicht verschont geblieben, als am
12. Dezember 1940 bezw. 14. März 1941 im ganzen 91 Geisteskranke, die »unheilbar« erschienen
, auf höhere Anordnung hin »verlegt wurden« in andere Anstalten, in Wirklichkeit aber
kurz nach der tatsächlich erfolgten Verlegung in Gaskammern (Grafeneck u.a.) getötet und
dann verbrannt wurden. Den Angehörigen war meist mitgeteilt worden, die betreffenden
Kranken seien an Lungenentzündung, Krebs, Blinddarmentzündung (im Anschluss an eine
Operation) gestorben. Aus hygienischen Gründen habe man die Leichen einäschern müssen;
gegen eine entsprechende Gebühr könne die Asche zugesandt werden. Furchtbare Verbrechen
waren das. Eine Rechtlosigkeit ohnegleichen, die ihre Schatten auch auf den ärztlichen Stand
werfen musste. Eine Verlogenheit der verantwortlichen Machthaber lag diesem schändlichen
Tun zugrunde. Diese Dinge waren freilich nur ein Symptom der allgemeinen Verlogenheit und
Verblendung. Kann es Wunder nehmen, dass ein Reich, das schon innerlich derartige geistige
Zerfallssymptome zeigte, seinen Weg ins Unglück und Verderben nehmen mußte?*47.

Die psychiatrische Abteilung des Fürst-Carl-Landeskrankenhauses Sigmaringen sollte die
Versorgung aller psychisch erkrankter Einwohner der Hohenzollerischen Lande übernehmen.
Für dieses Autonomiebestreben zahlten alle in der Psychiatrie hospitalisierten Patienten und
auch die dort tätigen Menschen einen hohen Preis. Sie mußten sich während der Weimarer
Republik und im »Dritten Reich« mit räumlicher Beengtheit, unterbesetzten Schwestern- und
Pflegerstellen, mangelhaften therapeutischen Angeboten bei ständiger Finanznot bescheiden.
Es ist dabei kaum vorstellbar, in Sigmaringen aber Realität, daß der erste fachkundige Arzt der
Abteilung erst Ende 1932 zur Verfügung stand. Davor hatte die ärztliche Direktion bei den
bestehenden Mängeln und deutlichem Interessenschwerpunkt auf der Organmedizin die das
Schicksal psychiatrischer Patienten erleichternden Innovationen verschlafen oder nur halbherzig
mitgetragen.

Angesichts der in den 20er Jahren bestehenden desolaten Versorgung der psychiatrischen
Patienten wurden Verbesserungen und Pflegesatzerhöhungen in den 30er Jahren gestattet, das
heißt zu einem Zeitpunkt, wo im Rahmen der Weltwirtschaftskrise und der nationalsozialistischen
Bevölkerungspolitik überall eine deutliche Reduzierung der finanziellen Mittel erfolgte.
Die sich in Sigmaringen dadurch ergebenden leidlichen Verbesserungen wurden jedoch seit
dem 1.1.1934 von der durch die Nationalsozialisten erlassene Sterilisationsgesetzgebung
begleitet, die das Arzt-Patient-Verhältnis trübte und als erste Stufe einer Hierarchie menschenverachtender
und -vernichtender Maßnahmen zu verstehen ist. Jeder seither in der
Nervenabteilung aufgenommene Patient lief Gefahr, zwangssterilisiert zu werden. Die
Unfruchtbarmachungen fanden dabei unter weitgehender Billigung des Ärztestandes und
breiter Bevölkerungskreise statt. Hinweise für irgendwelche diesbezüglichen Dissonanzen
lassen sich auch in Sigmaringen nicht feststellen. Vielmehr waren sowohl der psychiatrische
Facharzt als auch die Amtsärzte aus Hechingen und Sigmaringen Beisitzer oder Gutachter bei
gerichtlichen Verfahren im Erbgesundheitsgericht Hechingen. In den Hohenzollerischen
Landen wurden mit ca. 275 Sterilisationen etwa ebensoviele Unfruchtbarmachungen verfügt
und durchgeführt, wie im Nachbarland Württemberg. Die chirurgische Abteilung des Landeskrankenhauses
leistete gar einen aktiveren Beitrag, indem dort 101 Männer sterilisiert wurden.

Im Rahmen der Radikalisierung nationalsozialistischer Ausmerze wurde die Nervenabteilung
Sigmaringen Ende 1940 von der »Euthanasie« betroffen. Im Dezember 1940 und
März 1941 wurden von dort 91 Patienten abgeholt und zuletzt 90 von ihnen in Grafeneck
und Hadamar ermordet. Wie in den meisten staatlichen Einrichtungen zeigte sich kein
direkter Widerstand gegen die als »planwirtschaftliche Maßnahme« ausgegebene Tötungs-
»AktionT4«. Es wurden jedoch, auch wie in anderen Anstalten, Personen von den Transport-

147 KASX/4. Dr. Hans Hüetlin: Arztlicher Jahresbericht des FCL Sigmaringen Jahrgang 1945/46.

280


Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1994-95/0282