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St. Fidelis
Predigt des Fidelis auf Sonntag Sexagesima über das Gleichnis vom Sämann (F. H.
Hofbibliothek Sigmaringen HS 73; zitiert nach: J.A.Zimmermann: Der heilige
Fidelis von Sigmaringen, Innsbruck 1863, S. 173ff.)
Thema: Exiit qui seminat, Seminare semen suum. Luc[as] 8 [= Es ging ein Sämann hinaus,
seinen Samen zu säen, Lk. 8].
Wir lesen II. Esdras [= Esra] 8, vielgeliebte Zuhörer, daß, nachdem der Prophet auf Anhalten
der ganzen Gemeinde das göttliche Gesetz abgelesen und die ganze Gemeinde zum fleißigsten
zugehört und erkannten, daß sie dasselbige nicht gehalten hätten, haben sie alle angefangen,
bitterlich zu weinen und heiße Zähren zu vergießen - also, daß die Priester sie mußten trösten,
sprechend: Weinet nicht und seid nicht traurig, denn die Freude im Herrn ist unsere Stärke,
erfreut euch, da wir haben einen solchen Gott, der euchs verzeihen wird.
Wenn wir auch heutigen Tages also beschaffen und gegen das Gesetz und Wort Gottes und
unser Seelenheil eifrig wären, so hätten wir aus abgelesener Parabel und derselben von Christo
gleich geschehener Erklärung wohl ja große Ursache bitterlich und heiß zu weinen, weil wir
daraus ersehen, daß das Wort und Gesetz Gottes uns so gar wenig zu Herzen geht, so schlecht
gehalten wird, daß kaum und bloß der vierte Teil desselben zur Frucht aufgeht, die anderen
drei Teile aber ganz verloren, vertreten zu Grunde gehen. Deswegen, da zu solchen eiskalten
und im Gesetz Gottes erfrorenen Herzen nicht genug ist die Ablesung des Gesetzes und des
heiligen Evangeliums Gottes, sondern müssen noch mit erschrecklich peinlicher Drohung, mit
göttlichen Versprechungen und starken Worten bewegt und beredet werden, sonst bleiben sie
also kalt, reuelos und trocken, als hätten sie nur eine Fabel angehört, welches ohne Zweifel
daher neben andern Ursachen auch kommt, daß sie nicht wissen oder nicht wollen, wie sie
sollen zur Anhörung und Verkündigung des Gesetzes und des heiligen Wortes Gottes sich
schicken und vorbereiten. Cum Davide Psfalterium] 118 clamat: doce me justificationes tuas
[= Mit David ruft Psalm 119, 12: Lehre mich deine Rechte]. Hab derohalben befunden, sehr
nützlich in Unterredung zu sein, aus heutigem Evangelium zu erklären, wie und mit welcher
Vorbereitung wir zur heiligen Predigt kommen und das Wort und Gesetz Gottes anhören
sollen, damit solches bei uns nicht auf den Weg, Felsen oder Dornen falle, sondern in eine gute
Erde gesäet werde und Früchte des Heils und der Seligkeit bringe; höret nach euerer guten
Gewohnheit fleißig zu, da dies zu wissen und zu halten ist zur Seligkeit für uns. So fange ich
an mit Gnad und Beistand des Herrn.
Es ist ein berühmtes Axioma bei den Philosophen, welches also gänzlich wahr ist, daß, wie
größer die Disposition in derjenigen Sach ist, je schneller und vollkommener auch die Aktion
und Wirkung erfolget. Also sehen wir, daß ein Holz, so es zu dem Feuer getan wird, alsbald
angebrennt wird, je dürrer es auch ist, je schneller und vollkommener es das Feuer annimmt,
dieweil es also wegen der Dürre wohl disponiert ist zum Feuer. Also auch nicht alles an einem
frommen Prediger liegt, daß einer aus Predigten wenig lerne, sondern wird auch immerfort ein
tauglicher, wohl disponierter Zuhörer erfordert, der nicht trag, schläfrig und aus Fürwitz das
Wort Gottes anhört, sonsten wird er nicht allein nicht besser werden, sondern in seiner
Eitelkeit noch mehr zunehmen und also die Saat der Tugend nicht lassen hervorbringen und
an ihm erfüllt werden, was der Prophet Isaias 17, 10 sagt: Du wirst eine getreue Pflanze
pflanzen und fremde Frucht geben, d. i. wie du aus der Predigt hättest sollen frömmer und in
der Liebe Gottes und des Mächtigen hitziger werden, so wirst du aus Straf Gottes noch
hinlässiger und kälter. Das Wort Gottes ist gleich wie die Vapores [= Dünste], welche die
Sonne gegen Abend aufziehet, wo sie gegen Tag wieder herabfließen: Finden sie das Erdreich
warm, so wirds zum lieblichen und nützlichen Tau, fallen sie aber auf eine kalte Erde, so gibts
einen kalten, schädlichen Reif - also auch das Wort Gottes, die Predigt; wo sie hinfällt in eines
Menschen Herz, welches da in der Liebe Gottes und des Nebenmenschen warm und hitzig ist,
so gibts einen lieblichen und nützlichen Tau aller Tugenden und guten Werke; fällt sie aber in
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