Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., ZG 1563
Hohenzollerischer Geschichtsverein [Hrsg.]
Zeitschrift für Hohenzollerische Geschichte
34(120).1998
Seite: 28
(PDF, 85 MB)
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Heinz Pfefferle

schaftlicher und sentimentaler Anhänger einer möglichst schnellen Wiedervereinigung beider
Teile Württembergs. Möglichst enge Kontakte zu Stuttgart, der enge Anschluß an die Verwal-
tungs- und Gesetzgebungsmaßnahmen von Nordwürttemberg-Nordbaden, das Bestreben,
die Tübinger Landesverwaltung »unauffällig« zu halten, das Bestreben, die Stuttgarter Verfassung
kurzerhand zu übernehmen, all dies sind konkrete Maßnahmen, um diesem Ziel der
»Abwesenheitspflege« konkret Nachdruck zu verleihen. Schon im institutionellen Teil scheitert
diese Politik: die französische Besatzungsmacht erzwingt einen vollständigen Verwaltungsapparat
; nach eigenem Zeugnis sieht sich Carlo Schmid genötigt, eine landeseigene
Gerichtsbarkeit aufzubauen. Es ist nicht ohne objektive Ironie, wenn Gebhard Müller sagt:
Carlo Schmid hat, glaube ich, das große Verdienst, daß er aus Württemberg-Hohenzollern
einen Staat gemacht hat^. Dieser Staat entsteht nicht nur gegen den Willen von Carlo Schmid.
Im Sommer 1946 stellt er einen respektablen Grad der Stabilität der Verwaltung und eine unbestritten
fest(e) Autorität der zentralen Stellen fest16. Zur Sicherung der Daseinsfürsorge, zur
elementaren Sicherung von Ablieferungs- und Steuermoral und einer geordneten Verwaltung
muß Carlo Schmid selbst einem von ihm abgelehnten Staatsgebilde Leben einhauchen; er muß
die Autorität der Staatsverwaltung sicher und fest im Bewußtsein des Volkes veranker(n)17.
Daß dies nicht ohne Identifikationsprozesse mit diesem Land, nicht ohne politische Identitätsbildung
ablaufen kann, dürfte ohne weiteres klar sein. Dennoch hält Carlo Schmid in der
Theorie an seinen gesamtwürttembergischen Idealen fest: Unser schönes Württemberg, das
uns so liebe, wird durch eine militärische Demarkationslinie durchzogen ... Es hat uns so bitter
weh getan, weil Württemberg für uns nicht ein bloßer Verwaltungsbezirk, ein Sprengel, eine
Provinz ist, sondern unser engeres Vaterland, ... (es) ist uns ... eine unteilbare Quelle vieler
Ströme, die durch unsere Seele wogen™. Diese emphatische Programmatik in seiner Eröffnungsrede
für die erste der berühmten Landrätetagungen im November 1945 greift er bewußt
fast wörtlich in seiner Verabschiedungsrede von den Landräten am 24. Mai 1947 in Friedrichshafen
wieder auf. Hier wie dort beendet er seine Rede mit einem pathetischen Hie gut Württemberg
allewege! Ganz offensichtlich gibt es für ihn in Sachen Südwürttemberg nichts zu
überlegen und nichts zu diskutieren. Soweit er die nach 1945 neu belebten Regungen oberschwäbischer
Identität nicht einfach ignoriert (wie etwa in seiner Rede in Aulendorf am
27. April 1946), denuziert er sie als Aktivität von Klübchen und Kränzchen; Überlegungen zu
neuen Grenzziehungen in Süddeutschland sind für ihn Zeitvertreib müßiger Leute19. Carlo
Schmids Haltung zu Fragen der Identität ist erstaunlich traditionell, unsensibel und unflexibel
. Seine Elogen auf das napoleonisch aufgeblähte >alte< Württemberg können in Oberschwaben
wohl schwerlich auf Verständnis stoßen20. Insgesamt legt Carlo Schmid - gegen seinen
eigentlichen Willen - jedoch mit einen Grundstock für eine südwürttembergische politische
Identitätsbildung.

1.6. Lorenz Bock: Identitätsstiftende Verfassungspolitik

Gänzlich anders liegen die Dinge bei seinem Amtsnachfolger Lorenz Bock. Die Verfassungsgebung
in Württemberg-Hohenzollern wird sofort als Chance gesehen und entsprechend ge-

15 Gebhard Müller: Interview mit Prof. Dr. Hans Bausch (Süddeutscher Rundfunk) am 16. Mai 1980
(43 Seiten, Zitat S. 22, (StA Sigmaringen 8 B 123).

16 Protokoll der 9. Landrätetagung vom 6. Juli 1946 in Saulgau, S. 5.

17 Protokoll der 8. Landrätetagung vom 1. Juni 1946 in Schramberg, S. 6.

18 Protokoll der 1. Landrätetagung vom 3. November 1945 in Tübingen, S. 2.

19 Protokoll der 2. Landrätetagung vom 1. Dezember 1945 in Wangen, S. 14f.

20 Carlo Schmids Vorstellungen vom »alten« Württemberg beziehen sich auf die Grenzziehungen von
1803/06, die Württemberg (u. a. durch Einverleibung Oberschwabens) im Rahmen von Säkularisation und
Mediatisierung einen Flächenzuwachs von 206% und einen Bevölkerungszuwachs von 205% bescheren.

2S


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