Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., ZG 1563
Hohenzollerischer Geschichtsverein [Hrsg.]
Zeitschrift für Hohenzollerische Geschichte
34(120).1998
Seite: 50
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1998/0064
Frank Raberg

Müller kehrte - ausgerechnet im Jahre 1933 - in den württembergischen Justizdienst
zurück24. 1953 führte er zu den Gründen für diesen Schritt in der Verfassunggebenden Landesversammlung
aus, er sei 1933 sehr jung gewesen und habe am Rande der Politik gestanden.
Ich habe aber Herrn Hitler kein Wort geglaubt. Ich habe aus diesem Grunde damals auch
meine Stellung bei einer kirchlichen Organisation aufgegeben, weil man dort anderer Meinung
war1'. Dafür findet sich im schriftlichen Nachlaß nicht ein einziger Beleg. Vielmehr
ergibt sich aus dem Schriftwechsel mit dem Bischöflichen Ordinariat'6 eindeutig, daß Müller
vor der endgültigen Übernahme in die Dienste der Diözesanverwaltung auf die Gewährung
eines höheren Gehalts und des Titels Justizrat drängte, was ihm beides lange zugesagt worden,
aber nicht zur Realisierung gekommen war. So entschied sich der Verärgerte für die Rückkehr
in den Justizdienst, wo ihm die richterliche Unabhängigkeit nach wie vor gesichert schien27.

Die Haltung Müllers ist nicht völlig zu verstehen, wenn man nicht sein Verständnis vom
Staat in die Untersuchung mit einbezieht. Wie für die Mehrheit der Großväter- und Vätergeneration
stand für Müller an erster Stelle die Identifizierung mit Deutschland und Württemberg
. Erst an zweiter Stelle war von Belang, welches politische System hier bestand. Den Zusammenbruch
der Monarchie hatte er erlebt, das Ende der Weimarer Republik stand dem auf
lokaler Ebene politische Verantwortung Tragenden schmerzlich vor Augen. Es gibt zahlreiche
Beispiele dafür, daß Müller auf der Linie gerade der württembergischen Zentrumspartei und
ihrer Chefprotagonisten Bolz und Beyerle den Nationalsozialismus bekämpfte, vor ihm
warnte, Hitlers Verlogenheit tatsächlich frühzeitig erkannt hatte und sich deshalb auch ausmalen
konnte, was die Ernennung dieses Mannes zum Reichskanzler für die Demokratie für
Konsequenzen nach sich ziehen würde. Aber andererseits stellte Müller die Legitimationskulisse
, in welcher der »Führer« zur Macht gelangte, auch später kaum in Frage. So war die NS-
Herrschaft für ihn etwas, was ihm gewiß nicht behagte, aber zunächst auch keinen Anlaß bot,
sich dagegen, in welcher Weise auch immer, aufzulehnen. Für Müller war der Staat Hitlers zumindest
bis zum Ausbruch des Krieges kein Unrechtsstaat28 - eine Einschätzung, die vor dem
Hintergrund bereits massiver Verfolgung politisch Andersdenkender, vor dem Hintergrund
der Nürnberger Rassegesetze und vor dem Hintergrund der willkürlichen Ausschaltung der
Länderparlamente geeignet ist, Befremden zu erzeugen.

24 Vgl. zu Müllers Verabschiedung in Rottenburg den Artikel in der Rubrik »Kirchliches« der Rotten-
burger Zeitung vom 31. 5. 1933.

25 Verhandlungen der Verfassungsgebenden Landesversammlung von Baden-Württemberg, 40. Sitzung,
17. 6. 1953, PB 2, S. 1790. Aufgrund dieser Äußerung gelangt Weinacht, GiW (wie Anm. 2) zu dem
Schluß, Müllers Zeit »bei der Kirche« habe »mit einer Mißstimmung« aufgrund dieser politischen Meinungsverschiedenheit
geendet - eine Sentenz, die sich in Weihnachts Artikel für die NDB (wie Anm. 2),
weiter angereichert, so liest: »Wegen Meinungsverschiedenheiten über die Nazis - er trat für eine entschiedenere
Abgrenzung ein - verließ er das Bischöfliche Ordinariat und kehrte 1929 in den Justizdienst zurück
(Waiblingen, Tübingen).« Dies aus der einzigen Bemerkung Müllers im Parlament abzulesen und trotz
fehlender Belege ohne jedes Fragezeichen als Faktum auszugeben, erregt Befremden. Außerdem kehrte
Müller nicht 1929, sondern 1933 in den Justizdienst zurück, und Tübingen war keine Station mehr in seiner
Richterlaufbahn.

26 Vgl. die zahlreichen Briefe bei den Persönlichen Akten Müller, Familie II/III, die Müller dem Vf. vor
seinem Tod vertrauensvoll zur Auswertung überließ.

27 Nach seiner Rückkehr in den Justizdienst war Müller als stellvertretender Amtsrichter bei den Amtsgerichten
Waiblingen (1. 6. bis 31. 12. 1933) und Göppingen (1. 1. bis 31. 3. 1934) unständig verwendet.
Planmäßig war er vom 1. 4. 1934 bis zum 31. 12. 1938 als Amtsgerichtsrat beim Amtsgericht Göppingen
tätig; als solcher versah er zeitweise auch die Amtspflichten eines Amtsgerichtsrates beim Amtsgericht
Geislingen/Steige. Nach seiner Versetzung von Göppingen nach Stuttgart war Müller seit 1.1.1939 Amtsund
Landgerichtsrat.

28 KuSTERMANN-Manuskript (wie Anm. 2), S. 19ff.

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