Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., ZG 1563
Hohenzollerischer Geschichtsverein [Hrsg.]
Zeitschrift für Hohenzollerische Geschichte
34(120).1998
Seite: 129
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1998/0143
Geisteskranken-Fürsorge in Hohenzollern im 19. Jahrhundert

Gefährlichkeit. Daneben blieb es üblich, geistesschwache Personen - im Oberamt Sigmaringen
waren dies im Jahre 1889 15 Personen75 - in den Familien zu belassen oder auch in Armenhäusern
unterzubringen. Noch in den 1890er Jahren war es weitverbreitet, daß sich der Familienverband
harmloser Kranker selbst annahm, wobei auf Antrag aus dem Wohltätigkeitsfonds
des Kommunalverbandes ein Verpflegungszuschuß gezahlt werden konnte; fremde Geisteskranke
dagegen fanden kaum ein Unterkommen außerhalb von Anstalten, da es hier bei der
durchweg ländlichen Bevölkerung, die den größten Teil des Jahres mit landwirtschaftlichen
Tätigkeiten überhäuft ist, kein Interesse gab. Aus diesem Grunde waren auch im Jahre 1896
keinerlei Fälle bekannt, in denen fremde Kranke zum Beispiel gegen Entgelt aus der Anstalt in
die sogenannte Familienpflege übergeben worden waren76.

Insgesamt bleibt es charakteristisch, daß nach Möglichkeit eine Unterbringung in den eigenen
Familien stattfand. Dies entspricht einem Trend, wie er sich zum Beispiel auch im benachbarten
Württemberg darstellt: Hier befand sich in jenen Jahren mehr als die Hälfte der Geisteskranken
nicht in Anstalten und wiederum hiervon mehr als die Hälfte in Familien77. In
Preußen waren laut Volkszählung von 1871 von 21 303 nachgewiesenen Irren 11 467 nicht in
Anstalten für Geisteskranke untergebracht, von diesen wiederum 93,18 % in Familienpflege78.
Im Oberamt Hechingen waren im Jahre 1896 26 Geisteskranke nicht in Anstalten untergebracht
; 19 von ihnen befanden sich bei ihren Familien beziehungsweise Blutsverwandten,
zwei führten einen eigenen Haushalt. Es sind ruhige Schwach- und Wahnsinnige, welche größtenteils
im Haushalt und in verpflegenden Familien noch Verwendung finden können7'*. Falls
sich in Hohenzollern eine Anstaltsunterbringung als unumgänglich erwies, erfolgte diese im
Landesspital in Sigmaringen beziehungsweise aus dem Hechinger Raum auch schon einmal in
der psychiatrischen Klinik der Universität Tübingen80.

In den Physikatsberichten der Oberämter beziehungsweise später der Kreise des Regierungsbezirks
Sigmaringen haben sich entsprechende Informationen nur in geringem Umfang
niedergeschlagen, da die Irrenfürsorge im Kontext der »Fürsorge für Kranke und Gebrechliche
« abgehandelt wurde und i. d. R. auf ihre institutionalisierte Form abhob. Soweit überhaupt
dokumentiert, wurde die Familienunterbringung der Geisteskranken offiziell als ohne
Klagen über schlechte Unterbringung oder auch als hinlänglich gut bezeichnet^. In einem gewissen
Widerspruch hierzu steht allerdings die folgende und sicherlich durchaus auch die
Realität beschreibende Kritik der Amtsphysikate bezüglich der Unterbringung und Verpflegung
von Geisteskranken in ihren Familien: Moniert wurde eine mangelnde Aufnahmebereitschaft
der Familien und daher eine bessere amtliche Kontrolle eingefordert: Die Verpflegung
und Behandlung Geisteskranker ist vielfach in Folge von Unkenntnis, Gleichgültigkeit
oder aus Eigennutz eine sehr mangelhafte, so daß die Geisteskranken das ihnen
zustehende Maß körperlichen und geistigen Wohlbefindens oft entbehren müssen und von
einer rationellen Behandlung jener Zweckbesserung der Geisteskrankheit keine Rede sein
kann. Diesen Mißstand kann man namentlich auch vielfach auf dem Lande beobachten*1.

75 StAS Ho 235 1 16394.

76 StAS Ho 235 Abt. I Sekt. IX Rub. F Nr. 538 Bd. 1; im Jahre 1911 wurden z. B. im Kreis Sigmaringen
von zehn in Familien untergebrachten geisteskranken Personen drei bei fremden Familien verpflegt, vgl.
StAS Ho 235 Abt. I Sekt. IX Rub. K Nr. 709 (I 16365).

77 Vgl. Julius Ludwig August Koch: Zur Statistik der Geisteskrankheiten in Württemberg und der
Geisteskrankheiten überhaupt. Stuttgart 1878, S. 187-189.

78 Ebd. S. 189.

79 StAS Ho 13 Nr. 1239.

80 Ebd. In einem überlieferten Fall erfolgte 1853/54 die Einweisung einer Frau aus Glatt in die Heilanstalt
Pfullingen, vgl. StAS Ho 201 Nr. 410.

81 Vgl. die Physikatsberichte in den Bänden StAS Ho 235 Abt. I Sekt. IX Rub. K Nr. 709 (I 16365).

82 StAS Ho 235 Abt. I Sekt. IX Rub. F Nr. 538 Bd. 1.

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