Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., ZG 1563
Hohenzollerischer Geschichtsverein [Hrsg.]
Zeitschrift für Hohenzollerische Geschichte
34(120).1998
Seite: 172
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1998/0186
Christoph Schmider

musik innerhalb der Liturgie einnehmen sollte. Die Aufgabe der Kirchenmusik als Gotteslob
stand außer Frage, umstritten war lediglich, wie diese Aufgabe zu erfüllen war: Durch möglichst
große Kunstfertigkeit und Prachtentfaltung - »Das beste und kunstvollste, was Menschen
Gott zu bieten haben, ist (...) noch immer nicht gut genug«4 -, oder aber durch Unterordnung
unter die Liturgie und Anpassung an ihre Forderungen?

Einer der wichtigsten, sicherlich aber der folgenreichste unter den verschiedenen Reformansätzen
des 19. Jahrhunderts ist derjenige, der von dem Regensburger Diözesanpriester
Franz Xaver Witt (1834-1888)5 ausging und in Form des vereinsmäßig durchorganisierten
»Allgemeinen Cäcilien-Verbandes für die Länder der deutschen Sprache« (ACV) als mittlerweile
freilich stark modifizierter Caecilianismus6 bis heute weiterlebt.

Wichtig wurde der Caecilianismus vor allem durch seine schnelle Ausbreitung sowie die
infolgedessen sehr weitreichende Wirkung seiner Ideen, folgenreich dagegen in erster Linie
durch seine Unduldsamkeit Andersdenkenden gegenüber, durch den konsequent verfochte-
nen Alleinvertretungsanspruch7, und schließlich durch die mitunter zu ikonoklastischen Auswüchsen
führende Ablehnung >verweltlichter< Kirchenmusik8. Über die negativen Auswüchse
des Caecilianismus ist genügend publiziert worden, so daß eine Wiederholung all der berechtigten
Vorwürfe unterbleiben kann9.

Am bedeutsamsten unter den positiven Aspekten des Caecilianismus waren neben seiner
anregenden Wirkung auf die Musikgeschichtsschreibung und die Wiederentdeckung und Publikation
alter Musik seine Verdienste um die Popularisierung der Kirchenmusik. Vielerorts
entstanden Kirchenchöre aufgrund der caecilianischen Bemühungen, und regelmäßige Proben
wurden erst durch die Arbeit der Caecilianer selbstverständliche Voraussetzungen für die Gestaltung
der Kirchenmusik.

4 Gerard Kock: Zwischen Altar und und Orgel- und Sängerempore. Kirchenmusik: Liturgie oder
Kunst? In: Internationale katholische Zeitschrift (Concilium) 25 (1989), S. 97-107 (Zitat: S. 106).

5 Zu Person und Wirken vgl. Schmider (wie Anm. 1), S. 65-69 und 258-260.

6 Zur Schreibweise vgl. Hubert Unverricht : Der Caecilianismus. Anfänge - Grundlagen - Wirkungen
. Internationales Symposium zur Kirchenmusik des 19. Jahrhunderts (Eichstätter Abhandlungen zur
Musikwissenschaft 5) Tutzing 1988.

7 Vgl. beispielsweise die heftige, von beiden Seiten mit bisweilen recht unschönen Methoden geführte
Kontroverse zwischen Witts ACV und Johann Evangelist Habens österreichischer »Gegengründung«.
Siehe dazu etwa August Scharnagl: Die kirchenmusikalische Reformbestrebung von Johannes Evangelist
Haben in Österreich. In: Unverricht (wie Anm. 6), S. 307-320.

8 Vgl. Manfred Schuler: Das Noteninventar der Kollegiat- und Pfarrkirche St. Stephan in Konstanz.
In: Kirchenmusikalisches Jahrbuch 58-59, 1974-75, S. 85-103. Wenn Manfred Schuler über das erhaltene
Noteninventar der Konstanzer Stephanskirche meint, ihm komme um so größere »musikgeschichtliche
Bedeutung« zu, als der »Cäcilianismus auf diesem Gebiet gründlich aufgeräumt« (S. 85) habe, dann wirkt
diese Formulierung angesichts des tatsächlich weithin zu konstatierenden Kahlschlags, was den Erhalt von
Werken des 18. und frühen 19. Jahrhunderts anbetrifft, reichlich sarkastisch. Bezeichnend für die »Aufräumungswut
« mancher Caecilianer ist folgende Aufforderung des Freiburger Diözesan-Cäcilienverbandes:
Gegen diese Profanierung an heiliger Stätte giebt es ein wirksames Mittel, und das ist: Bei Neuanschaffung
von Kirchenmusikalien halte man sich ausschließlich an den Cäcilien-Vereins-Katalog, und übergebe sämtliche
vorhandenen Gesänge, die nicht im Kataloge stehen und nicht im Geiste der Kirche komponiert sind,
nach und nach dem Feuer (Der katholische Kirchensänger. Monatsschrift des Cäcilien-Vereins der Erzdiözese
Freiburg. Hg. von dessen Vorständen, 2. Jahrgang 1889, S. 20). Offenbar scheint diese Aufforderung
vielerorts bald und gründlich in die Tat umgesetzt worden zu sein. Allerdings lassen sich bei weitem nicht
alle Verwüstungen auf diesem Gebiet den Caecilianern in die Schuhe schieben, sondern es kommt bis heute
immer wieder vor, daß Pfarrer oder Kirchenmusiker das >alte Zeug« Verständnis- und rücksichtslos vernichten
.

9 Vgl. Schmider (wie Anm. 1), S. 66-68, sowie die dort angegebene Literatur, die sich in den Jahren seit
1994 noch einmal erheblich vermehrt hat.

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