Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., ZG 1563
Hohenzollerischer Geschichtsverein [Hrsg.]
Zeitschrift für Hohenzollerische Geschichte
34(120).1998
Seite: 220
(PDF, 85 MB)
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1998/0234
Edwin Ernst Weber

In den beiden letzten Monaten ihres Aufenthalts in Krauchenwies ist Sophie Scholl dann,
offenbar zumeist in Begleitung ihrer neuen Freundin Gisela Schertling, in ihrer Freizeit
abends und an den Wochenenden geradezu eine regelmäßige Besucherin der Kirche - als Orgelspielerin
im leeren Gotteshaus und bei Meßfeiern. Am 23. August beispielsweise will sie
mit ihrer Kameradin abends in der Kirche noch 4händige Stücke von Händel und Bach auf der
Orgel spielen. Den Schlüssel vom Herrn Pfarrer haben wir schon des öfteren erbeten, nicht
umsonst^. Das sei eine besondere Feststunde für sie, besonders da es ein solch wunderbarer
Gegensatz zu dem ganzen anderen Treiben ist. Ihrer Schwester Elisabeth schreibt Sophie
Scholl Ende August, daß sie am Samstagabend mit ihrer Kameradin in der Kirche Orgel gespielt
und gesungen habe, bis sie ins Bett mußten. Am darauffolgenden Sonntagmorgen seien
beide dann bereits um 6.30 Uhr zur Frühmesse in die Kirche gegangen. Dies sei deshalb so
früh geschehen, damit es im Lager nicht bemerkt würde, denn Kirchgang war doch verboten.
Nachher gingen die beiden Mädchen nochmals zu Bett, um nachmittags erneut zu orgeln47.
Erfahrungen dieser Art mögen den Krauchenwieser Pfarrer Ehinger veranlaßt haben, in seinem
für das Erzbischöfliche Ordinariat verfaßten Rückblick auf die Kriegszeit in seinem
Pfarrort ein durchaus differenziertes Bild vom dortigen RAD-Lager und dessen Belegschaft
zu zeichnen: Die dort untergebrachten halbjährigen Kurse hätten sich, so schreibt der Geistliche
, in religiöser Beziehung unterschiedlich verhalten. Es gab solche, die öfters in die Kirche
kamen, wohl auch die heiligen Sacramente empfingen, andere waren fast völlig religionslos^.

Entgegen ihrer anfänglichen Skepsis gegenüber ihren Arbeitsdienst-Kolleginnen findet
Sophie Scholl nach einiger Zeit doch zu verschiedenen der Mädchen eine nähere Beziehung.
Uber die gemeinsame Krauchenwieser Zeit hinaus Bestand behält dabei die Freundschaft mit
der Thüringerin Gisela Schertling, die später zusammen mit Sophie Scholl in München studiert
, dort auch mit deren Bruder Hans Scholl befreundet ist und schließlich im zweiten
Volksgerichtshofprozeß gegen die »Weiße Rose« wegen Nichtanzeigens zu einem Jahr
Gefängnis verurteilt wird49. In ihrer Korrespondenz erwähnt Sophie Scholl die ein Jahr jüngere
Gisela Schertling erstmals in einem Brief an ihre Schwester Inge vom 23. Juni 1941, in dem
sie berichtet, daß sie aus kindischem Oppositionsgefühl gestern abend mit Gisela und einer
weiteren Kameradin namens Trude hinter einem Heuhaufen geraucht habe, was, wie erwähnt,
im Lager streng verboten war50. Zwei Monate später erwähnt sie in einem Brief einen mit
einem Thüringer Mädel - Gisela Schertling - geplanten gemeinsamen Orgelbesuch in der
Krauchenwieser Pfarrkirche und bekennt, daß sie sich oft an ihr freue und glaube, daß unsere
Freundschaft, wenn man unser von Gefühlen ziemlich freies Verhältnis so bezeichnen kann,
den Arbeitsdienst überdauern wird5]. Einige Tage später berichtet sie ihrem Bruder Werner,
daß sie sich an dies Mädel eigentlich erst in letzter Zeit angeschlossen (habe) und dies nicht auf
Grund einer Zuneigung (obwohl sie mir sofort angenehm auffiel), sondern auf Grund von
einigen Gesprächen. Und dies scheint mir ein ganz guter Grund. Ich kann so viel mit ihr sprechen
, wie ich mir (nie) gedacht hätte, mit jemanden während dieses Halbjahres sprechen zu
können. Und ich glaube kaum, daß es bloß eine R.A.D.-Bekanntschaft bleibt. Es tut mir gut,
und ich freu mich oft darüber, solchen Menschen zu haben, wenn sie auch jünger ist als ich in
vieler Beziehung. Doch hier erst merke ich, was ein anderer bedeuten kann52.

46 Brief an Lisa Remppis v. 23. 8. 1941 (Jens (wie Anm. 10), S. 232).

47 Brief an Schwester Elisabeth v. 29. 8. 1941 (Jens (wie Anm. 10), Anmerkungen, S. 347).

48 Geschichte des Weltkrieges 1939^15, soweit er Krauchenwies berührte (wie Anm. 35).

49 Zu Gisela Schertling vgl. Wolfgang Benz u. Walter H. Pehle: Lexikon des Widerstandes. Frankfurt
a.M. 21994, S. 316, 390; Jens (wie Anm. 10), Anmerkungen, S. 347; außerdem Schreiben von Inge
Aicher-Scholl an den Krauchenwieser Bürgermeister Heinz Schöllhammer v. 14. 6. 1983 (wie Anm. 44).

50 Jens (wie Anm. 10), Anmerkungen, S. 347.

51 Brief an Lisa Remppis v. 23. 8. 1941 (Jens (wie Anm. 10), S. 231f.).

52 Brief an Bruder Werner v. 27. 8. 1941 (Jens (wie Anm. 10), S. 233).

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