Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., ZG 1563
Hohenzollerischer Geschichtsverein [Hrsg.]
Zeitschrift für Hohenzollerische Geschichte
34(120).1998
Seite: 268
(PDF, 85 MB)
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1998/0282
Ute Weidemeyer-Schellinger

3.3. »MAN IST VIELLEICHT SCHON EIN BISSCHEN ZU KULANT GEWESEN«
- POLITISCHE SÄUBERUNG

Eine der umstrittensten Maßnahmen der Nachkriegszeit stellte die im ganzen Bundesgebiet
durchgeführte politische Säuberung dar. Eine Entnazifizierung nach dem Zweiten Weltkrieg
war jedoch unbedingt erforderlich, waren doch die zwölf Jahre Hitlerdiktatur nicht nur das
Werk eines Mannes gewesen. Das Dritte Reich hatte Helfershelfer ebenso wie einen Unterdrückungsapparat
und eine Masse von Mitläufern gebraucht, um existieren zu können.

In den ersten Wochen und Monaten nach Kriegsende konnte man jedoch keinen Nazi in
Deutschland finden. Das war auch in Burladingen längst vorbei. Jetzt gab es viele Deutsche,
die zugaben, Mitglied der Nazipartei gewesen zu sein, aber es hieß, man »mußte« Nazi sein,
um seine wirtschaftliche Position verbessern oder um seine Stellung behalten zu können. »Die
meisten Lehrer mußten ja in der Partei sein, die mußten eben hinein, ob sie wollten oder nicht.
Da war nicht jeder Nazi, der dort drin war. Die Beamten mußten hinein, die Richter mußten
hinein. Das war alles, die mußten eben hinein. (...) Man hat keine Schuld empfunden, denn
man hat nichts machen können. Man war machtlos. Der, der sich gewehrt hat, ist um den Kopf
gekommen. Man weiß das ja aus den Konzentrationslagern oder von Leuten, die aufgemuckt
haben, sehr intelligente Leute. Wie viele sind denn da weggekommen von allen möglichen
Schichten!«453

Ein »Mußnazi«, der gezwungen wurde, der Partei gegen seinen Willen beizutreten, ist der
Ansicht, man könne ihn nicht für Verbrechen verantwortlich machen, die von der hohen oberen
Parteiführung angeordnet worden sind. Man hatte als Nazi nur Befehle ausgeführt, und
dafür kam man jetzt auch noch in Gefangenschaft. Durch die Legitimation des eigenen Verhaltens
, die in der Erinnerung durch ein Wechselspiel von Rechtfertigung und Verdrängung
entsteht, hat für viele Menschen eine individuelle Bewältigung der Vergangenheit bis heute
nicht stattgefunden. Das ausgeklügelte System psychologischer Ausflüchte scheint auf einem
tiefsitzenden Schuldgefühl zu gründen, denn fast jeder Deutsche hat etwas von dem Greuel
der Nationalsozialisten, die in Deutschland und im Ausland begangen wurden, gewußt.

3.3.1. »HEUTE WILL JA NIEMAND MEHR ETWAS WISSEN«

Die Burladinger Zeitzeugen/innen - nach Konzentrationslagern, Judenvernichtung und Euthanasie
befragt - äußern sich in unterschiedlicher Form. Während die meisten leugnen, etwas
von diesen Greueltaten gewußt zu haben, hebt insbesondere ein Interviewpartner hervor, daß
»das« schon bekannt gewesen sei. »Das hat niemand gewußt. Man hat wohl etwas gemunkelt,
aber das ist alles im geheimen verlaufen. Da hat man nicht laut sagen dürfen, die sind vergast
worden. Aber gewußt hat man's, daß da etwas im Gang ist. Hier sind ja auch ein paar Behinderte
weggekommen, und dann hat man sich gewundert, die sind doch gar nicht krank gewesen
. Dann hat man sie in Grafeneck drüben vergast. Der Bruder des X.Y. war auch schwachsinnig
, und er selbst war Oberhitler. Und trotzdem haben sie seinen Bruder vergast. Obwohl
die Leute gearbeitet haben und alles, auf einmal hat man sie bei Nacht und Nebel geholt. Die
sind auf dem Rathaus registriert gewesen, und dann hat man sie einfach geholt, die Gestapo
hauptsächlich. Wie im Osten drüben die Stasi, das ist so ähnlich«454. »Also als Frontsoldat hat
man wirklich überhaupt nichts gewußt. Aber man hat natürlich da und dort durch irgendwelche
Umstände oder wenn man ins Hinterland gekommen ist, hat man schon gewußt, daß es
das gibt. Aber wies da wirklich zugeht, nicht. Also ich habe es nicht gewußt. Man hat zwar
gesehen, das sind Gefangene (die Juden, d.V), sie müssen die langen Eisenbahnschwellen unterhalten
und unter Aufsicht arbeiten. Das hat man schon gewußt, daß es ihnen nicht gut geht,

453 Interview mit Frau B. am 18.2.1991.

454 Interview mit Herrn H. am 16.5.1991.

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