Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., ZG 1563
Hohenzollerischer Geschichtsverein [Hrsg.]
Zeitschrift für Hohenzollerische Geschichte
34(120).1998
Seite: 270
(PDF, 85 MB)
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1998/0284
Ute Weidemeyer-Schellinger

der Rettich war, die haben Uniformen angehabt. Der Rettich hat die Uniform angehabt, der
Lehrer X. hat die Uniform angehabt, der Lehrer Y. auch, der war ja sowieso politischer Leiter.
Die haben alle die Uniform angehabt, die sind alle in der Partei gewesen. Das habe ich nie so
herausgekriegt, so richtig genau, wer das so war, wer das gemacht hat. Aber ich stelle mir das
so vor, daß die da schon alle Bescheid gewußt haben, was geht«459.

Es sollte also in den Monaten und Jahren nach Kriegsende weithin im Land so aussehen, als
habe es zwar Parteibücher und Mitgliedschaften, erzwungene natürlich, aber kaum irgendwo
wirkliche Nazis gegeben. Jeder leugnete, jemals innere Sympathie für den Nationalsozialismus
gehabt zu haben, brachte einen jüdischen Freund vor, dem er geholfen habe, nannte Beispiele
, wie er das System an seinem bescheidenen Platz geschädigt habe. »Also, ich muß sagen,
es ist schon seltsam gewesen in Burladingen an und für sich. Nach dem Krieg hat es keinen
Nazi gegeben, da wollte niemand nichts getan haben. Dadurch, daß man hier irgendwie verwandt
war, hat man Rücksicht genommen. Und die (Nazis, d.V.) haben aber vorher keine
Rücksicht genommen, die haben da auf die Verwandtschaft auch keine Rücksicht genommen.
Nach dem Krieg wollte auf einmal niemand mehr etwas wissen. Und Hitler hat es keine mehr
gegeben. Das hat hier gut funktioniert. Das hat hier so gut funktioniert wie überall. Nachher
wollte sich dann niemand mehr den Mund verbrennen«460.

Die Kategorien, die hinsichtlich der politischen Säuberung von den Interviewpartnern/innen
thematisiert werden, umfassen die Entwicklung des Nationalsozialismus in Burladingen,
das Verhalten der Burladinger Nazis sowie die eigentliche Entnazifizierung, die aus heutiger
Sicht häufig als mangelhaft erinnert wird. Obwohl bei der Beschäftigung mit der französischen
Besatzung unweigerlich das Verhalten der Nationalsozialisten in der Gemeinde immer
wieder im Zentrum der Interviews stand, die Spuren des Krieges unmittelbar in die Nachkriegszeit
hineinreichen und heute auch in entsprechend enger Verbindung rekonstruiert werden
, müssen diese Erinnerungen an die Entwicklung des Nationalsozialismus in Burladingen
und das Verhalten der Nazis hier ausgeklammert bleiben.

Aus den vielfältigen Berichten über den Nationalsozialismus und die Erfahrungen, die die
Zeitzeugen/innen mit der nationalsozialistischen Partei und deren Vertretern gemacht haben,
seien stellvertretend einige Beispiele zitiert. »Ich möchte sagen, 80 Prozent von der SA hier in
Burladingen sind Lumpen gewesen. Also, die hätten jeden einsperren lassen, der irgend etwas
gesagt hätte. 60, 70, 80 Prozent. Und die freigestellt worden sind, hätten sowieso noch alles getan
. Das sind die Versteckten gewesen, das sind die ganz Schlimmen gewesen. Das hat man denen
gar nicht zugetraut, daß die so sind. Die Versteckten sind gar nie so herausgekommen. Die
haben nichts herausgelassen, und trotzdem haben sie dazugehört. Es sind Lumpen gewesen,
mit einem Wort gesagt«461. »So radikale Nazis hat's hier gegeben, da wäre man gleich vor's
Kriegsgericht gekommen. Man hat die freie Ansicht nicht sagen können. Man mußte zuerst
gucken, wer ist da, kann man vor dem schwätzen. Da hat doch keiner eine Gegenrede haben
dürfen. Da mußte man alles hinnehmen, was die gesagt haben. Wenn die gesagt haben, das
Wasser geht den Bach hinauf; ja, es läuft den Bach hinauf. Da hat's keine Opposition gegeben
oder eine Widerrede. Die Burladinger haben zum Teil schon unter den Nazis zu leiden gehabt.
Zwei sind weggekommen ins KZ«462.

Einige Jahrzehnte nach Kriegsende scheint es einfacher, sich mit einer möglichen Erklärung
für die Entstehung des Nationalsozialismus zu versuchen: »Manche waren ja demokratieverdrossen
seinerzeit mit den häufigen Wahlen und natürlich die Folgen vom verlorenen Ersten
Weltkrieg. Und da haben ja die Alliierten alles falsch gemacht mit Reparationen und Demütigungen
und so. Das hat die Bevölkerung ganz allgemein schon sehr gedemütigt und verdrossen

459 Interview mit Herrn E. am 21.3.1991.

460 Interview mit Herrn E. am 15.5.1991.

461 Ebd.

462 Interview mit Herrn H. am 16.5.1991.

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