Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., ZG 1563
Hohenzollerischer Geschichtsverein [Hrsg.]
Zeitschrift für Hohenzollerische Geschichte
34(120).1998
Seite: 272
(PDF, 85 MB)
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1998/0286
Ute Weidemeyer-Schellinger

Der beinahe durchgängigen Meinung der Informanten/innen - diese waren erstaunlicherweise
alle kein NSDAP-Mitglied, die Auswahl wurde jedoch nicht entsprechend diesem
Kriterium getroffen -, daß da nach dem Krieg doch nicht mehr viel zu machen gewesen wäre
und niemand besonderes Interesse an einer hinreichenden politischen Säuberung gezeigt habe,
stehen einzelne konträre Aussagen gegenüber. Die Burladinger Nazis seien glimpflich davongekommen
, man hätte es mit der Entnazifizierung genauer nehmen und wenigstens die
großen Nazis entsprechend bestrafen sollen, betonen sie dann.

Ein Interviewpartner sieht die Mängel der Entnazifizierung heute vor allem in bezug auf
die damals führenden Parteimitglieder. »Aber ich muß für meinen Teil oft denken, gerade die
Richter und Staatsanwälte von damals, vor allen Dingen der Volksgerichtshof, das war schon
schlimm, was die da gemacht haben. Da hat man eigentlich von einer Entnazifizierung nichts
erfahren. Im Gegenteil, man streitet sich ja heute noch herum, wenn da eine Witwe eine dicke
Pension kriegt. Da hat's schon gehapert. Das ist jetzt wieder die Parallele da drüben in der
DDR. Für mich ist es unerklärlich, daß das bei den Juristen so sang- und klanglos über die
Bühne gegangen ist«466.

Deutliche Kritik an der politischen Säuberung übt auch ein anderer Gesprächspartner, der
sich speziell mit dieser Thematik intensiv auseinandergesetzt hat. »Also ich bin hinsichtlich der
Nachkriegszeit mehr von den Deutschen enttäuscht als von der Besatzung. Dazu ein Beispiel:
Recht ist noch lange nicht Recht! Da ist von den deutschen Richtern keiner zum Tode verurteilt
worden, nicht einmal der Reichsrichter, der die Geschwister Scholl gehängt hat. Ich habe gute
Bekannte in Berlin gehabt, die von den Flakhelfern da dabeigewesen sind. Daß die Justiz sich
das hat bieten lassen, das kommt ja jetzt erst so richtig heraus. Und das ist leider Gottes so. Ich
sage immer, die krallen einander die Augen nicht aus. Das biegt man bei den Richtern alles so
hin. Das muß man heute einmal für möglich halten, daß nicht ein Richter zum Tode verurteilt
worden ist, nicht einmal die, die die vom 20. Juli haben hängen lassen. Wenn ich heute drei-,
viertausend Mark Rente kriege, weil ich nicht im Krieg gewesen bin, weil ich andere fortgeschrieben
(ins Konzentrationslager gebracht, d.V.) und den Sauhund herausgehängt habe, dann
zu sagen, das steht mir zu ? Nach deutscher Justiz kriegen die noch Rente. Da hat man Leute vergast
, und deren Frauen kriegen vielleicht eine Rente mit sechs-, siebenhundert Mark und der
Richter schiebt sechs-, siebentausend hinein. Das müßte ja umgekehrt sein. Also das ist ein
schönes Recht, oder nicht? Die im KZ gewesen sind, müßten deren Rente kriegen. Damals hat
jeder geguckt, daß er den Dreck des anderen zudeckt, und deshalb ist das auch alles so vertuscht
geblieben. Und das ist der Schwindel, und das bleibt's auch, egal, wer an die Regierung kommt.
Ich will bestimmt nicht sagen, daß man die Richter hätte erschießen müssen, aber man hätte
denen mindestens die schlechteste Pension gegeben. Die Burladinger Nazis sind glimpflich
davongekommen. Also ich habe mich in Berlin sicherer gefühlt als in Burladingen. Hier hat man
keinem mehr trauen können. Mich hat in der Nachkriegszeit eher gestört: Recht ist noch lange
nicht Recht! Wenn ich Recht spreche und niemandem Schaden zufüge, dann laß' ich mir das
gefallen. Wenn ich aber nach deutschem Recht ein paar erschieße, weil's so ein Idiot bestimmt;
und dann werden die nicht einmal verurteilt. Oder wenn ich mich jetzt aufführe wie ein
Schwein, bloß damit ich nicht gehen muß (in den Krieg, d.V.), andere verpfeife und nach dem
deutschen Recht steige ich noch! Mensch, der Mann kann etwas, den muß man befördern!
Wenn ich andere noch ordentlich drangsaliere und mir kann nach deutschem Recht nichts passieren
! Also, das ist ein schönes Recht! Also ich habe mich, wenn ich ehrlich bin, an den Deutschen
mehr gestört als an der Besatzung«467.

Ein Zeitzeuge bekennt, daß es zu keiner zufriedenstellenden Entnazifizierung gekommen
ist, weil man Rücksicht auf verwandtschaftliche Verhältnisse genommen habe. »Man hätte die

466 Interview mit Herrn G. am 29.4.1991.

467 Interviews mit Herrn E. am 21.3.1991 und 15.5.1991.

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