Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., ZG 1563
Hohenzollerischer Geschichtsverein [Hrsg.]
Zeitschrift für Hohenzollerische Geschichte
34(120).1998
Seite: 273
(PDF, 85 MB)
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1998/0287
»Es war wie überall, eben kleiner« - Französische Besatzung in Burladingen (1945-1948)

Nazis mehr bestrafen sollen, aber dann hat jeder gesagt: Ach was, was soll ich mich da anfeinden
. Wissen Sie, wenn man die (Nazis, d.V.) nicht so gut gekannt hätte, dann hätte man das
schon gemacht. Aber man ist ja zu vielen verwandt gewesen, und dann hat man mit ihnen
nichts haben wollen. Und hat das dann im Sande verlaufen lassen und hat gedacht, was will ich
das Ding noch einmal aufrühren. Man wäre der böse Bube gewesen und hätte das von den
Jungen natürlich noch hören müssen. Die hätten's einem nachgetragen, du hast meinen Vater
angeschwärzt. Auch mein Bruder hat als Bürgermeister keinen angeschwärzt, das wollte er
nicht. Dann hätte es geheißen, du hast mich auch ... Und weil wir eine Wirtschaft gehabt haben
; dann wären die Verwandten gekommen und dann hätte es geheißen: Du bist schuld, daß
mein Vater eingesperrt worden ist. Wegen dir noch. Es ist eben in so einem kleinen Ort nicht
so leicht gewesen damals. Wenn man einen da nicht so gekannt hätte, dann wäre das (die Entnazifizierung
, d.V.) auch ein bißchen anders gekommen«468.

Da die Bevölkerung allzu sehr mit individuellen Existenznöten beschäftigt war, sie bereits
neue Aufgaben und Probleme zu bewältigen hatte, die - bedingt durch den Wiederaufbau -
dringlicher als eine politische Aufarbeitung der Vergangenheit empfunden wurden, wurde die
politische Säuberung und die Demokratisierung der Deutschen ins Abseits gedrängt.

Dennoch wurde die damalige Entnazifizierungspraxis in der Realität höchstwahrscheinlich
ebenso selten kritisiert wie bei der heutigen Rekonstruktion. Herr E. erweitert seine bisherigen
kritischen Bemerkungen um einige relevante Argumente, die in direktem Zusammenhang
mit den Burladinger Geschehnissen stehen. »Mich haben die Franzosen praktisch überhaupt
nicht gestört. Was mich gestört hat, war, daß die alten Nazis so ungeschoren
davongekommen sind. Und da hat die Kirche eine ganz faule Rolle gespielt. Das muß ich
noch sagen: Da war in der Sägerei hier ein gefangener Franzose namens X. Und der gefangene
Franzose hat sich bei den Franzosen gerade für die alten Naziburschen eingesetzt. Ich meine,
das hat sich schon herumgesprochen, daß das ein alter Nazi war. Der hätte jeden hingebracht,
wo es nur gegangen wäre. Und dann hat sich der X. dafür eingesetzt, daß dem nichts passiert
ist. Und da kenne ich noch einmal einen gefangenen Franzosen. Der war hier als Gefangener,
und die hätte man fast noch kurz vor dem Einmarsch erschossen. Die Franzosen hätte man
noch erschossen. Und der gefangene Franzose hat mir persönlich erzählt: Der Nazi war also
ein Schwein oben heraus, und als die Franzosen gekommen sind, sind sie nach Jungingen und
haben dessen Haus durchsucht. Der Franzose ist mit zwei Marokkanern nach Jungingen und
hat dessen Haus umstellt. Dann hat er gesagt: Wo ist er? Ja, der ist nicht da. Dann hat der Franzose
zu den Marokkanern gesagt: Los hinein! Jetzt ist der Nazi im Keller in einer Kiste gesessen
. Los heraus! Und dann hat der Franzose gesagt: So, ich lasse dich nicht erschießen. Wenn
ich jetzt zu den zwei Marokkanern sagen würde, los weg mit ihm, dann wärst du weg. Du hättest
mich noch erschießen lassen, ich lasse dich aber nicht erschießen. Aber jetzt mußt du barfuß
Richtung Schlatt marschieren. Die Brücke vor Schlatt haben sie ja beim Einmarsch noch in
die Luft gejagt, und dort mußte er hin zum Brückebauen. Die sind aber gut davongekommen.
Und die Deutschen hätten sie noch erschießen lassen, wenn's beim Einmarsch nicht so schnell
gegangen wäre. Und das ist noch das Schönste: Das waren dann noch Spätheimkehrer! Ich bin
48 heimgekommen (aus der Gefangenschaft, d.V), und die (Nazis, d.V.) hat man dann eingesperrt
gehabt. Und nach dem deutschen Gesetz sind die Spätheimkehrer gewesen, bloß weil
sie eine fremde Macht eingesperrt hat. So haben wir eine Rechtsprechung. Also wir haben eine
Rechtsprechung, das ist zum Schießen«469.

Der Gesprächspartner bringt mit empört-gereizter Stimme einen anderen bedeutenden
Aspekt in die Entnazifizierungsproblematik, von dem in der unmittelbaren Nachkriegszeit jedoch
niemand Gebrauch gemacht hat. »Wenn mein Vater beim Einmarsch hingegangen wäre

468 Interview mit Herrn H. am 16.5.1991.

469 Interview mit Herrn E. am 21.3.1991.

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