Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., ZG 1563
Hohenzollerischer Geschichtsverein [Hrsg.]
Zeitschrift für Hohenzollerische Geschichte
34(120).1998
Seite: 275
(PDF, 85 MB)
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»Es war wie überall, eben kleiner« - Französische Besatzung in Burladingen (1945-1948)

Ein weiterer Grund für die völlig unzureichende Entnazifizierung stellt seiner Meinung
nach das Faktum dar, daß die Kirche den Nazis nach dem Krieg Leumundszeugnisse ausgestellt
hat. »Die Kirche ist einfach mit schuld, daß man die Naziverbrechen nicht besser aufgeklärt
hat. Die Nazis sind zu den Pfarrern gegangen und haben denen etwas vorgejammert, und
dann hat er denen ein Attest geschrieben«473.

Eine Informantin kann sich ebenfalls nicht erinnern, daß die politische Säuberung erhebliche
Auswirkungen auf die jeweiligen Burladinger Parteimitglieder gehabt hätte. »Und dann kam ja
auch die Entnazifizierung. Jeder, der in der Partei war, ist dann auch entnazifiziert worden. Und
dann mußte man Geld bezahlen, je nachdem wie lange man in der Partei war, ob man Nutzen
davon gehabt hat. Hauptsächlich Geldstrafen, ihre Posten haben sie wieder gekriegt«476.

Die Franzosen verzichteten von Anfang an auf automatische Internierung und allgemeines
Berufsverbot für Betroffene. Verhaftungen wurden zunächst überwiegend aufgrund deutscher
Denunziationen vorgenommen und trugen im Gegensatz zur amerikanischen und britischen
Entnazifizierungspraxis den Charakter »fast völliger Willkür«477. Eine Zeitzeugin, in
deren elterlichem Haus die französische Kommandantur kurze Zeit ihren Sitz hatte, erinnert
sich, daß auch in Burladingen - einen Bereich der Entnazifizierung illustrierend - zahlreiche
Denunziationen nach dem Krieg zur Realität gehörten. »Dann hat man ja die Kommandantur
bei uns gehabt, und da saß dann immer ein Oberst. Und dann sind die Leute gekommen und
haben immer nur denunziert, die Deutschen. Das war ein großer Nazi, und der hat das und
das gemacht, und ich kann Ihnen sagen. Ich kann Schulfranzösisch, und dann haben sie (die
Franzosen, d.V.) mich immer geholt zum Übersetzen. Ich habe dann da immer so übersetzt,
was die da so verzapft haben, aber ich habe immer nur die Hälfte gesagt. Ich habe immer gesagt
, ich verstehe das nicht, und dabei habe ich es gut verstanden. Aber ich habe gedacht, was
soll das? Das war so die unterste Schicht, die dachten, wenn sie jetzt sagen, der Fabrikant hat
das und der hat das gemacht, dann kriegen sie vielleicht etwas. Aber sie haben auch nichts gekriegt
, einen Tritt in den Hintern. Meistens war bei denen auch selbst noch etwas dran. Die haben
schon denunziert. Als ich dann so in der Kommandantur saß und solche Leute kamen,
waren das so die Untersten. Und dann kamen die und haben alle angeschwärzt, was der gemacht
hat und der gemacht hat, dabei war überhaupt nichts. Da hat man sich eben richtig
wichtig gemacht, will ich einmal sagen. Und die hatten ja auch nichts davon, man hat ja auch
nichts davon gehabt. Da haben sie überhaupt nichts gekriegt. Die Franzosen sind den Denunzierungen
auch nicht nachgegangen. Aber da saßen immer so zehn Personen vor dem Büro,
und dann ist immer einer nach dem anderen hereingerufen worden. Und mich hat man dann
immer dazugeholt. Ich habe immer die Hälfte gar nicht übersetzt. Ich habe das so blöd gefunden
, weil ich gedacht habe, das bringt ja auch nichts«478.

Ob die Interviewpartnerin diese Art von Denunziationen in bezug auf eine konsequente
Entnazifizierung tatsächlich als überflüssig betrachtet hat, oder ob sie nur hinsichtlich der
Person ihres Schwiegervaters (Arzt in der NS-Zeit) etwas verheimlichen oder nicht wahrhaben
wollte, ist nicht nachzuprüfen. Eine Kritik an ihrem damaligen Verhalten steht mir im
Rahmen dieser Arbeit nicht zu. Die Tatsache, daß die französische Besatzungsmacht der politischen
Säuberung insgesamt keine große Beachtung gezollt hat, denn sonst hätte solchen
Denunziationen wenigstens bei »schweren Fällen« nachgegangen werden müssen, findet in
der Erinnerung einer Zeitzeugin Bestätigung. »Also wenn da jemand darauf ausgegangen wäre
, daß man jetzt einem eines hätte auswischen können, das wäre also gut gegangen. Da ist
auch einmal ein Franzose gekommen und hat gesagt, ich kenne doch die Leute und ich soll

475 Ebd.

476 Interview mit Frau F. am 16.4.1991.

477 Dirks (wie Anm. 346). In: Becker/Stammmen/Waldmann (wie Anm. 293), S. 146.

478 Interview mit Frau F. am 16.4.1991.

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