Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., ZG 1563
Hohenzollerischer Geschichtsverein [Hrsg.]
Zeitschrift für Hohenzollerische Geschichte
34(120).1998
Seite: 284
(PDF, 85 MB)
Bibliographische Information
Startseite des Bandes
Zugehörige Bände
Regionalia

  (z. B.: IV, 145, xii)



Lizenz: Creative Commons - Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0
Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1998/0298
Ute Weidemeyer-Schellinger

3.3.4. »ES HAT SCHLIMMERE GEGEBEN ALS DEN RETTICH«

Einen besonderen Blick möchte ich dem ehemaligen Burladinger Bürgermeister Dr. Heinrich
Rettich zuwenden, der nach dem Krieg anfänglich nicht wieder eingesetzt wurde, weil er »als
Bürgermeister wegen seiner politischen Haltung nicht tragbar«523 war. Die Begründung des
Untersuchungsausschusses für die politische Säuberung der Verwaltung von nationalsozialistischen
Einflüssen begründete die einstimmige Beurteilung am 26.3.1946: »Der Beamte ist
Pg. seit 1.5.1933«'24. Am 19. August 1946 erging an ihn folgender Entnazifizierungsbescheid:
»Entlassung unter Gewährung eines Ubergangsgeldes von Reichsmark 160 monatlich auf die
Dauer von zwei Jahren, 11/12 auf drei Jahre«525.

Trotz dieser Entnazifizierungsmaßnahme wollen sich beinahe alle Burladinger Gesprächspartner
/innen hinsichtlich dessen Verhalten während der NS-Zeit nicht äußern und betonen,
es habe schlimmere Nazis in Burladingen gegeben. Die meisten Informanten/innen können
sich an keine auffälligen parteipolitischen Tätigkeiten des Dr. Rettich erinnern und nehmen
ihn größtenteils in Schutz.

Auf den ersten Blick gehören die Aktivitäten des NS-Bürgermeisters sowie dessen Entnazifizierung
nicht in die individuellen Erinnerungsgeschichten der Burladinger/innen, stellen
für sie keine bedeutsam erscheinenden Begebenheiten innerhalb der Gemeinde dar. Die subjektiven
Deutungen und Bedeutungen der Erinnerungen verweisen dann aber auch auf den
Zusammenhalt einer dörflichen Gemeinschaft, aus der nichts Negatives - selbst wenn es Jahrzehnte
zurückliegt - nach außen dringen soll.

Diverse Details - die Aktivitäten des früheren Burladinger Bürgermeisters in der NS-Zeit
betreffend - selektiert das Erinnerungsvermögen der Zeitzeugen/innen nach intensiver und
wiederholter Befragung. »Ich selbst habe es mit angesehen, wie die zwei, der Dr. V. und der
Rettich, die Dosen genommen haben, die Caritasdosen. Ich bin gerade in die Kirche gegangen,
und sie sind am Friedhof heruntergekommen, an der Fidelisstraße. Man hat für die Caritas gesammelt
, und die haben denen die Dosen abgenommen. Das sehe ich heute noch, wie die den
Ministranten die Dosen weggenommen haben. Und haben sie dann für die Partei mitgenommen
. Den Ministranten die Dosen genommen, weil sie angeblich nicht in der Kirche gesammelt
haben, sondern unten auf dem Gemeindeweg. Es hat Schlimmere gegeben als den Rettich
, das muß man sagen«526.

»Oh, ich möchte mich nicht direkt äußern, aber wenn er etwas gemacht hat, dann hat er es
bloß aus Angst gemacht. So habe ich ihn eingeschätzt. Er war ein sehr ängstlicher Mensch. Vor
dem Krieg war er nicht lange Bürgermeister, vorher war's ja der Bausinger. Ich glaube nicht,
daß er jemand denunziert hat. Und wissen Sie, wenn Akten über ihn da wären, dann hätte
mein Mann das ja gewußt. Eine war da, aber da möchte ich nicht darüber sprechen. Das ist
auch nicht nötig, er ist gestorben. Wir haben ein sehr gutes Verhältnis zu ihm gehabt. Er war
immer sehr kulant, also ich möchte ihm da nichts nachsagen. Ich meine, wenn man einen Fehler
sucht, kann man an jedem einen finden. Also, daß er jemand angezeigt hat, glaube ich nicht.
Da waren andere hier! Ich glaube, daß der Rettich da weniger schlimm war als so'n kleiner
Hitler, der gedacht hat, er muß zeigen, was er kann und hat gleich denunziert. Ich glaube, da
war der Rettich zu intelligent, um das zu tun«527. »Ich glaube, der hat in der Nazizeit auch viel
zu den Fabrikanten geholfen und weniger zu den Kleinen. Er ist immer so ein bißchen er
hat nichts riskiert. Also ich bin vom Rettich nicht begeistert gewesen, das muß ich ehrlich sagen
«528. »Ich meine, der Bürgermeister Rettich war am Anfang nicht mehr zugelassen. Wahr-

523 Staatsarchiv Sigmaringen Wü 13, Nr. 1265.

524 Ebd.

525 Staatsarchiv Sigmaringen Ho 13 Acc. 14/1977, Nr. 738.

526 Interview mit Herrn E. am 15.5.1991.

527 Interview mit Frau B. am 18.2.1991.

528 Interview mit Frau C. am 12.3.1991.

284


Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1998/0298