Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., ZG 1563
Hohenzollerischer Geschichtsverein [Hrsg.]
Zeitschrift für Hohenzollerische Geschichte
34(120).1998
Seite: 300
(PDF, 85 MB)
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1998/0314
Ute Weidemeyer-Sehellinger

ten keine Befreiung für die Burladinger/innen. Simultan macht dieses Datum auch nicht die einschneidende
Zäsur im Erleben und Erinnern jener Zeit aus, statt dessen verarbeitet das kollektive
Gedächtnis die elenden Jahre zwischen 1945 und 1948 als Verlängerung des Kriegsnotstands
zu einer Epoche, die durch Entbehrung, Unterdrückung und Hoffnungslosigkeit insgesamt
gekennzeichnet war. Die »schlechte Zeit« begann für viele mit dem Krieg und endete
erst mit der Währungsreform 1948, als es wieder »aufwärts« ging. Da stellt sich die Zeit der
französischen Besatzung mit ihren Bevormundungen und Reglementierungen dann tatsächlich
nur als eine Verlängerung des Krieges und der NS-Zeit mit ihren vielen Ge- und Verboten dar.
Diese Argumentationslinie sollte auch anhand der Kapiteleinteilung transparent gemacht werden
: Zuerst kehrt der Krieg »heim«, dann wird er vor Ort verloren mit allen Konsequenzen:
Plünderungen, Vergewaltigungen und Demütigungen. Dann bleiben die Franzosen als mächtige
Herren, die den Wald abholzen und die Maschinen demontieren. Das Leben normalisiert
sich noch lange nicht, im wirtschaftlichen und kulturellen Sektor, im Bereich des öffentlichen
Lebens fand eine nur zögernde Entwicklung statt, und als eigentlicher Neubeginn im Bewußtsein
der Menschen wird erst die am 20. Juni 1948 in Kraft tretende Währungsreform begriffen.

Jeder hat an das Kriegsende andere Erinnerungen, selbst in derselben Generation. Mai 1945
war für viele - die Hälfte? die Mehrheit? - nicht Befreiung, sondern Untergang. Die Welle der
Vernichtung, mit der Deutschland den Kontinent überzogen hatte, schlug mit furchtbarer Gewalt
auf Deutschland zurück. Millionen erlebten den Einmarsch der Besatzer als Apokalypse,
Millionen waren auf der Flucht oder befanden sich in Gefangenschaft. Nach fünf Jahren, acht
Monaten und acht Tagen war am 8. Mai 1945 der Krieg zu Ende, der schließlich auch Deutschland
in ein Ruinenfeld verwandelte, den deutschen Staat ausgelöscht und die Deutschen als
Nation in die tiefste Existenzkrise ihrer Geschichte gestürzt hatte. Als ein typisches Stimmungsbild
der Nachkriegszeit stellte sich die Rekonstruktion dar, daß man das Ende des Krieges
als Niederlage und bei weitem nicht als eine Befreiung von der nationalsozialistischen
Diktatur gesehen hat. Haß, Mißtrauen und Unterwerfung gegenüber den alliierten Besatzern
waren - obwohl als Revanche für die (Un)taten der Deutschen erkannt - größer als der
Wunsch, die »jüngste Geschichte« zu hinterfragen und sich ihrer bewußt zu werden. Eine
konsequente Entnazifizierung wurde in diesem Zusammenhang nicht als etwas Notwendiges
auf dem Weg zur Demokratie begriffen, sondern als etwas Störendes, Unangenehmes, das dem
Wiederaufbau im Weg stand - und um den galt es sich doch schließlich zu bemühen. Wurde
die Bundesrepublik aus diesen Gründen das Land des Wiederaufbaus und die Chance des
Neuaufbaus möglicherweise vertan?

Von denen, die damals aufatmeten, weil nun wenigstens keine Bomben mehr fielen, weil
niemand mehr erschossen wurde, der am Endsieg zweifelte, weil nun eine Zukunft begann, die
trotz aller Bedrückung nicht so bedrückend und vor allem nicht so verlogen war wie die Vergangenheit
- von denen, die so dachten, hätte niemand geglaubt, daß die Deutschen den 8. Mai
1945, diese Wendemarke ihrer Geschichte, je vergessen könnten. Sie haben sich geirrt, denn
heute, über 50 Jahre nach Kriegsende, wissen viele deutschen Bürger/innen mit diesem Datum
nichts mehr anzufangen. Dies dokumentiert die umfassende Verdrängung, die im Mai 1945
begann, kaum daß der letzte Schuß gefallen und die Besatzer einmarschiert waren. Die Mitläufer
formierten sich - eben noch Helfershelfer und Nutznießer des zusammenbrechenden
Regimes, jetzt Bannträger der »neuen Zeit«. Die Bundesrepublik wurde ebenso wie die frühere
DDR die Republik der Mitläufer, im konkret-politischen wie im geistigen Sinn. Da sich alle
schuldig fühlten, wurde die Vergangenheit unter den Teppich gekehrt. Den Schlußstrich, von
dem heute so viel die Rede ist, zog die Mehrheit des Volkes bereits am Abend des 8. Mai 1945
stillschweigend für sich selbst: Der Krieg war aus, er war schrecklich gewesen, aber die anderen
waren ja auch nicht besser, sie hatten unsere Städte zerbombt, und jetzt hieß es, Ärmel aufkrempeln
und wieder aufbauen.

Die Diskussion über die Schuldfrage überließ man ein paar Intellektuellen, die sich damit
abmühten - was ging das »uns« an? Man war in der NSDAP gewesen, in der SA, der SS - na

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