Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., ZG 1563
Hohenzollerischer Geschichtsverein [Hrsg.]
Zeitschrift für Hohenzollerische Geschichte
34(120).1998
Seite: 342
(PDF, 85 MB)
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Neues Schrifttum

tivierten oder abschwächten. Da diese Devianz aber gleichermaßen die Diskurse der westfälischen
Geistlichkeit als auch deren Frömmigkeitspraxis prägte, konnte sie nicht als Stimulus
wirksam werden, um die (gleichgelagerte) Frömmigkeitspraxis der Laien zu kritisieren resp.
zu reformieren. Kritik am Wallfahrtswesen in Westfalen blieb infolgedessen vereinzelt. Die
massivsten, weil abergläubische Praktiken bei der Bilderverehrung unterstellenden Vorwürfe
äußerte bezeichnenderweise ein »Außenstehender«, der theologisch hochgeschulte Nikolaus
Cusanus anläßlich seiner Legationsreise durch das Bistum im Jahre 1451/52. Chancen auf die
Verwirklichung seiner Reformvorstellungen bestanden allerdings in der spätmittelalterlichen
Adelskirche Westfalens nicht: die Indifferenz der Machthaber in Staat und Kirche ließ seine
Reformvorschläge ungehört verhallen, die Obrigkeit zeigte kein Interesse, in die von lokaler
Geistlichkeit und Gemeinde autonom verwalteten Kulte einzugreifen, sondern beschränkte
sich, ihrem faktischen Machtpotential entsprechend, auf die Schlichtung von Streitigkeiten
und die Aufrechterhaltung von »pax« und »iustitia«.

Brüchig wurde der Geistlichen und Laien gemeinsame heilige Kosmos, also die Glaubensvorstellungen
und die Frömmigkeitsformen, erst mit dem Auftreten der Reformatoren. Als
Folge ihrer Kritik an zentralen Glaubensinhalten, insbesondere der Werkfrömmigkeit, bewertete
ein Teil der Elite und ein Teil der Laien eingelebte Glaubenspraktiken (Heiligenverehrung
- Abendmahl sub utraque) neu und scherte aus der traditionalen Frömmigkeit aus. Auf Resonanz
stießen die dank schriftlicher und mündlicher Kommunikationsformen sowie protestantischer
Geistlichen verbreiteten neuen Glaubensvorstellungen vor allem in der Bischofsstadt
Münster, wo sich die Laien weitgehend von »älteren volksfrommen Überzeugungen lösten«
(67), aber auch auf dem Lande. Auf die beiden spätmittelalterlichen Marienwallfahrtsorte
Telgte und Alt-Lünen wirkte sich die Reformation unterschiedlich aus: In Telgte arrangierten
die Laien die eindringenden reformatorischen Gedanken in einem komplexen Gemengenlage
von alten und neuen Glaubensüberzeugungen und -praktiken, der eingelebte lokale Marienkult
überlebte aber aufgrund seiner Bedeutung für die soziale Praxis. In Alt-Lünen schlief die
von den Reformatoren als abgöttisch, ja teuflisch qualifizierte Marienwallfahrt hingegen um
1600 ein, vermutlich weil ihr - so Freitag - durch den Ubergang Neu-Lünens sowie anderer
Nachbarorte zur Reformation die soziale Basis wegbrach.

Die radikale Infragestellung tradierter Glaubensüberzeugungen und -praktiken durch die
Reformatoren setzte die altkirchliche Elite unter Handlungsdruck. Als zentrale Elemente ihrer
Verteidigungsstrategie können benannt werden: die Zurückweisung der reformatorischen
Kritik in den zahlreich erscheinenden apologetischen Schriften, die - vor allem über das
Tridentische Konzil laufende - Präzisierung der eigenen Lehre sowie die partielle Transformation
etablierter Frömmigkeitspraktiken. Hinsichtlich der Lehre von den guten Werken,
der Marien- und Heiligenverehrung sowie des Wallfahrtswesens gilt es zu konstatieren, daß
Neuerungen kaum vorgenommen wurden; dominierend war vielmehr der Rückbezug, die
Wiederholung und Bestätigung der Festlegungen der Konzilien des ersten Jahrtausends sowie
die Berufung auf mittelalterliche Kirchenlehrer. Neu war vor allem der Zwang zur Umsetzung
der lehrmäßigen Festlegungen in gelebte Praxis: Gestützt auf den sich formierenden
frühmodernen Staat, der seinerseits via Konfessionspolitik seine Machtbasis ausbaute, und
eine im Geiste des Tridentinums sozialisierte Geistlichkeit (Stabsdisziplinierung) setzten die
Geistlichen innerhalb kurzer Zeit neue Verhaltensstandards im Wallfahrtswesen durch:
profane, sich aus der Volkskultur speisende Elemente wurden ausgeschieden, die Abläufe
routinisiert und diszipliniert, die Anstaltsgnade in Form von Liturgie und Sakramenten integriert
. Zukunftsweisend, da dem neuen, um die (transkonfessionell gültigen!) Begriffe Ordnung
und Ehrfurcht (»Ordinate et devote«, 103) zentrierten Ideal verpflichtet, wurden die von
Geistlichen organisierten und geführten Wallfahrtsprozessionen, die sich typologisch von
den bisherigen Formen der Marienwallfahrt, dem Gang von einzelnen Pilgern zum Wallfahrtsort
beziehungsweise dem Zusammenströmen (»conflux«) zur lokalen Umtracht deutlich
unterschieden.

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