Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., ZG 1563
Hohenzollerischer Geschichtsverein [Hrsg.]
Zeitschrift für Hohenzollerische Geschichte
34(120).1998
Seite: 350
(PDF, 85 MB)
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Neues Schrifttum

erklärt Vf.in entschuldigend im Vorwort, sei »die Voraussetzung für die Aufnahme in die Reihe
« gewesen. Wer auch immer die Foucault'schen Anspielung durchgedrückt hat - der Habilitationsschrift
von Schnabel-Schule ist damit ein Bärendienst erwiesen.

Die Vf.in geht methodisch so vor, daß sie zunächst den gesetzgeberischen und institutionellen
Rahmen absteckt und sich sodann mit dem württembergischen Strafsystem befaßt (sie
nennt Todes-, Leibes-, Freiheits-, Geld- und Arbeitsstrafen wie auch die Strafe des Landesverweises
). Hierbei ergibt sich, daß die Todesstrafe weitaus seltener verhängt wurde, als dies viele
einschlägige Veröffentlichungen glauben machen wollen. Zudem hielt sich die hierbei angewandte
Grausamkeit zumeist in sehr engen Grenzen. Dies rührt nach Ansicht der Vf.in vor
allem daher, daß der Herzog die von der Tübinger Juristenfakultät vorgeschlagene Strafzumessung
in den allermeisten Fällen abmilderte. Dergestalt verbrachte mancher Delinquent einige
Jahre in dem oben erwähnten und 1736 errichteten Zuchthaus, anstatt sein Leben auf dem
Schafott zu beschließen. In einem weiteren Abschnitt geht sie auf »soziale und soziologische
Rahmenbedingungen« ein. Hierunter versteht sie unter anderem das (eher schwach ausgeprägte
) Anzeigeverhalten, die Rolle der Zeugen im Strafverfahren sowie das Verbrechen als
Austragung von Konflikten, wobei Ehe und Familie die Hauptrolle spielen. Weiterhin handelt
Vf.in die normsetzenden Rechtsquellen ab, als da sind das mosaische, das römische und das
kanonische Recht. Schließlich geht es in einem letzten Abschnitt um den konkreten Ablauf
einzelner Verfahren, und zwar gegliedert nach den Verbrechensarten Gotteslästerung und
Majestätsbeleidigung sowie Tötungs-, Eigentums- und Sexualdelikte. Hier verliert sich glücklicherweise
der ansonsten teilweise doch recht zähflüssige Stil und mündet in ein leichtgängiges
Parlando. Uberaus erfrischend wirkt zudem die nüchterne, sachlich-praktische Art, mit
welcher sexuelle Einzelheiten geschildert werden.

An dieser Stelle müssen freilich einige Unebenheiten angesprochen werden. Da schreibt sie
beispielsweise S. 23: »Der Tod eines Neugeborenen war ... sehr viel weniger emotional betrachtet
als in späteren Zeiten.« In der Anmerkung hierzu nennt Vf.in Elisabeth Badinter (Die
Mutterliebe. Geschichte eines Gefühls vom 17. Jahrhundert bis heute, München 1984), von
der sie sich aber im selben Satz ausdrücklich distanziert. Was gilt nun? Die emotionale Distanz
oder diese doch nicht? Und worauf stützt Vf.in nun letztendlich ihre Aussage? Ein zweites
Beispiel: Ein Kapitel trägt die Überschrift »Rüggerichte und Kirchenkonvente« (S. 46), ohne
daß im Text auf die Ruggerichte (gemeinhin in der Literatur ohne Umlaut geschrieben!) auch
nur mit einem einzigen Wort eingegangen wird. Des weiteren wirkt es alles andere als horizonterweiternd
(wie vielleicht beabsichtigt), sondern vielmehr in hohem Maße störend, wenn
immer wieder Parallelerscheinungen aus der Kurpfalz oder aus den badischen Markgrafschaften
eingeflochten werden. Gelegentlich findet man schräge Formulierungen wie »Statt nur eines
Nachbarn hatten die Menschen nun (sc. in der Neuzeit) meist mehrere Nachbarn« (S. 7). -
Wo die angesprochenen südwestdeutschen Bauern und Bürger in ihren Dörfern und Kleinstädten
auch im Mittelalter bereits so dicht aufeinander wohnten, daß sie mehrere Nachbarn
hatten! Ärgerlich stimmen zudem die gelegentlich eingestreuten Binsenweisheiten wie zum
Beispiel S. 194: »Disharmonische Ehen stellten somit ein großes Konfliktpotential dar«.

Größerer Arger entsteht durch eine Anzahl handfester Unrichtigkeiten. Wenn Vf.in beispielsweise
S. 246 meint, »die Menschen waren nicht in der Lage, die angewandte Kraft zu
dosieren«, so ist dies gewiß richtig beobachtet. Doch führt es in die Irre, hierfür das durch die
»alltäglichen Verrichtungen« antrainierte Muskelschmalz verantwortlich zu machen. Vielmehr
wissen wir aus der Mentalitätsforschung, daß die frühneuzeitlichen Menschen eben
noch nicht gelernt hatten, ihre Gefühle zu dosieren und zu kontrollieren. Das heißt mit anderen
Worten: War erst einmal die kalte Wut ausgebrochen, dann gab es kein Halten mehr -
dann wurde eben blindlings drauflos geschlagen. Ein weiteres Beispiel - S. 212 behauptet die
Vf.in: »In Württemberg befand sich ... in jedem Haushalt eine Bibel«, was an der historischen
Wirklichkeit vollkommen vorbeigeht. In der württembergischen Kleinstadt Ebingen etwa
haben wir 1705-1712 in 93% der Haushalte, 1748/49 in 52% und auch 1798/99 in deren 46%

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