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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1999/0076
Andreas Zekorn

Leemann selbst beeilte sich nun nach der erhaltenen Botschaft und fuhr gegen 5 Uhr
abends mit einem Extragefährt nach Balingen zurück. Die Stadt befand sich bereits in heller
Aufregung. In den Wirtshäusern war in der Nacht ein massenhaftes Geschrei zu hören,
Heckerlieder wurden gesungen und Hecker hoch-Kuit ausgebracht. Am nächsten Morgen,
am Dienstag dem 26. September, gab Leemann als erstes an den Baiinger Stadtrat einen Erlaß
heraus, in dem er Bezug auf die nächtlichen Ruhestörungen nahm und den Stadtrat aufforderte
, für Ruhe und Ordnung zu sorgen37.

Als der Rottweiler Zug herannahte, nahm Leemann mit Schultheiß und Bürgerwehrkommandanten
Rücksprache, um eine von Rau verlangte Einquartierung der Freischaren in Balingen
zu verhindern. Leemann konnte sich dabei nicht durchsetzen. Der Oberamtmann
wollte weiterhin von dem Bürgerwehrkommandanten wissen, ob er sich auf die Bürgerwehr
stützen könne, um den Zug von der Stadt abzuhalten. Er erhielt zur Antwort, daß dies nicht
der Fall sei, sondern daß im Gegenteil die Rau'sche Sache volle Zustimmung finde.

Dem Einzug Raus konnte Leemann nichts entgegensetzen. Auf die Bürgerwehr konnte er
sich nicht verlassen. Militär stand ihm keines zur Verfügung. Er sah sich sogar außer Stande,
die Bürger, insbesondere die Bürgerwehr, zusammenzubringen, um sie vor einer Teilnahme
am Zug nach Stuttgart abzumahnen. Es war Jahr- und Viehmarkt in Balingen und die Stimmung
aufgeregt. Jede Verwarnung hätte die Stimmung nur gesteigert, so Oberamtmann Leemann
später. Zudem habe er sich auch deswegen passiv verhalten, weil er hoffte, die Baiinger
würden am Ende doch nichts ausführen er (kenne) die Baiinger von dieser Seite, ... Sie
schreien und raesoniren immer mehr, als sie wirklich handlen}s. Schließlich habe er Nachrichten
erhalten, daß die Sache landabwärts, Richtung Tübingen und Stuttgart, für das Rau'sche
Unternehmen nicht günstig sei und auch manche Bürgerwehroffiziere sich gegen eine Beteiligung
am Zug aussprachen39.

Aber am Dienstag war die Stimmung in Balingen angeheizt40. Aus Stuttgart war eigens der
damalige Oberpolizeikommissar bei der Stadtdirektion Bullinger angereist, um die Lage in
Balingen zu erkundschaften und Rau und Genossen zu beobachten. Er war um 2 Uhr früh in
Stuttgart aufgebrochen und kam gegen drei Uhr mittags in Balingen an41. Bullinger gab folgenden
Bericht über die Lage in Balingen: Bei seiner Ankunft begegnete er Oberamtmann
Leemann, der das Treiben der Menschenmenge in der Hauptstraße beobachtete. Nachdem
sich Bullinger zu erkennen gegeben hatte, bedauerte Leemann, daß Bullinger nicht einige
Compagnien Militair mitgebracht habe, um dieses ... Lumpengesindel zu Paaren zu treiben.
Auf dem Wege zum Oberamt erkannte Bullinger die gereizte politische Stimmung bei den
Leuten, welche zum großen Theil betrunken waren und somit die zügelloseste Aufregung
wahrnahmen. Leemann erklärte ihm, daß er keine Mittel besitze, um dem Unfug zu steuern.
Auf den Stadtschultheißen könne er sich nicht verlassen, weil er durch und durch demokratisch
sei. Auf die Bürgerwehr könne er ebenfalls nicht bauen, und ein persönliches Einschreiten
hielt er für sinnlos, vor allem weil alles betrunken sei. Auch nach Ansicht Bullingers hätte
bei einem Einschreiten, das Ansehen der Obrigkeit nur noch mehr gelitten, so daß es besser

37 HStAS, E 146, Bü 2729, fol. 32: Bericht der Regierung des Schwarzwaldkreises an das Ministerium
des Innern, 12.5.1851.

38 StAS, E 146, Bü 2729: Bericht des Universitätskassiers Bullinger 10.8.1851, fol. 62-66. Dieses Zitat
Leemanns konnte Bullinger allerdings nicht bestätigen.

39 HStAS, E 146, Bü 2729, fol. 41-50 (Quadr. 25): Bericht der Regierung des Schwarzwaldkreises an das
Ministerium des Innern, 27.6.1851.

40 Zeitgleich fand in Sigmaringen am 26. September die Karlsplatzversammlung statt, der Beginn der
Septemberunruhen.

41 HStAS, E 146, Bü 2729, fol. 56-58: Schreiben an Universitätskassier Bullinger vom 5.8.1851. - Bullinger
wurde nach seiner Tätigkeit als Oberpolizeikommissar bei der Stadtdirektion Stuttgart Universiäts-
kassier in Tübingen und als solcher zu den Vorkommnissen in Balingen vernommen.

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