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Revolutionäre Beamte?
war, sich passiv zu verhalten. Deswegen beschränkte sich Leemann darauf, Nachrichten und
Meldungen über die Lage auf dem geplanten Weg Raus entgegenzunehmen, Erkundigungen
einziehen zu lassen und das Treiben in Balingen zu beobachten42.
Am nächsten Morgen, am Mittwoch dem 27. September, wenn sich die tolle Raserei nach
der Rauschnacht42, gelegt hätte, wollte Leemann vor die Baiinger treten und von der Teilnahme
am Zug abmahnen. Doch dieses erwies sich gar nicht mehr als notwendig, denn am anderen
Morgen sei nicht ein Mann der Baiinger Bürgerwehr auf den Schlag des Rottweiler Tambours
erschienen44.
In der Tat, die Baiinger wurden von den eingekommenen Nachrichten, daß das Rau'sche
Unternehmen zum Scheitern verurteilt sei, von der Teilnahme am Zug abgehalten. Der Baiinger
Bürgerwehrkommandant hatte Deputierte nach Stuttgart und Tübingen entsandt, um die
Lage und Stimmung in beiden Städten zu erkunden. Die Abgesandten meldeten, daß es im
Unterland ruhig sei und die württembergische Regierung plane, gegen demokratisch-republikanische
Unruhestifter energisch vorzugehen. Zugleich trafen Nachrichten aus Baden ein,
daß die Erhebung Struves von badischen Truppen niedergeschlagen worden sei. Rau wurde
gewarnt, daß sein Unternehmen keine Zustimmung finde und daß er sich nicht ins Unglück
stürzen solle. Diese Nachrichten führten zu einem Stimmungsumschwung sowohl bei den
Rottweilern wie auch bei den Balingern. Niemand fand sich mehr zur Teilnahme am Weitermarsch
nach Canstatt bereit. Auf diese Weise scheiterte der Zug in Balingen.
Rau schickte übrigens wohl noch am selben Tag den Baiinger Studenten Haux über
Hechingen durch das Killertal nach Sigmaringen, um der Bevölkerung mitzuteilen, daß sie
zuhause bleiben sollte, denn die Zeit sei noch nicht reif45.
Oberamtmann Leemann versuchte, Rau auf der Rückreise nach Rottweil zu verhaften,
doch Rau nahm gar nicht den angenommenen Weg zurück nach Rottweil, sondern begab sich
nach Sulz46. Das Rau'sche Unternehmen war damit zwar beendet, doch sollte die Angelegenheit
nicht nur für Gottlieb Rau, sondern auch für Carl Friedrich Leemann noch ein folgenschweres
Nachspiel haben.
Nachdem sich die Lage wieder beruhigt hatte, machte der damals in Laufen angestellte
Präceptor Gustav Maier47 während einer Abendgesellschaft Leemann auf beleidigende Weise
Vorwürfe, nämlich daß er sich während der Rau'sehen Unruhen verschiedene Dienstuntätig-
42 StAS, E 146, Bü 2729, fol. 62-66: Bericht des Universitätskassiers Bullinger 10.8.1851.
43 StAS, E 146, Bü 2729, fol. 62-66: Bericht des Universitätskassiers Bullinger 10.8.1851.
44 HStAS, E 146, Bü 2729: fol. 41-50 (Quadr. 25): Bericht der Regierung des Schwarzwaldkreises an das
Ministerium des Innern, 27.6.1851.
45 Ein direkter Zusammenhang zwischen der Erhebung Struves und dem Rau'sehen Unternehmen bestand
nicht. Allerdings dürften die Nachrichten aus Baden die Stimmung in Balingen stark gedämpft haben
. Struve war am 24.9. gescheitert und am 25.9. verhaftet worden. Nachrichten darüber gab es in Balingen
wohl erst am Mittwoch (27.9.), unter Umständen könnte die Nachricht aber auch schon am Dienstag
Abend eingetroffen sein (vgl. Gönner, Revolution [wie Anm. 1] S. 136, S. 220: Anm. 63 f.). Letzteres ist
aber eher unwahrscheinlich, denn dann hätte der gut informierte Oberamtmann Leemann die Neuigkeit
sicherlich rasch verkündet, um einen Stimmungsumschwung herbeizuführen. In dem Verfahren gegen
Leemann wird hierauf kein Bezug genommen. - Hecker hatte sich im übrigen bereits am 20. September
nach Amerika eingeschifft. Dazu: Sauer, Gottlieb Rau und die revolutionäre Erhebung (wie Anm. 1),
S. 119 ff.; Ders.: Revolution und Volksbewaffnung. Die württembergischen Bürgerwehren im 19. Jahrhundert
vor allem während der Revolution 1848/49. Ulm 1976, S. 125 f.; Mann, Die Württemberger (wie
Anm. 22), S. 201 ff.; Gönner, Revolution (wie Anm. 1), S. 132 f., S. 136.
46 HStAS, E 146, Bü 2729, fol. 41-50 (Quadr. 25): Bericht der Regierung des Schwarzwaldkreises an das
Ministerium des Innern, 27.6.1851. Dazu auch: Sauer, Gottlieb Rau und die revolutionäre Erhebung (wie
Anm. 1), S. 121.
47 Maier war später, 1851, Redakteur der »Teutschen Kronik« (StAS, E 146, Bü 2729, fol. 62-66: Bericht
des Universitätskassiers Bullinger 10.8.1851).
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