http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1999/0085
Revolutionäre Beamte?
Gesinnung legte auch Pfarrer Blumenstetter an den Tag, der sich gegen Gewalttaten und für
ein gesetzliches Verhalten aussprach84.
Zum 27. Oktober 1848 verkündete Blumenstetter seinen Austritt aus der Nationalversammlung
. Bei seinem Rücktritt mögen mehrere Motive eine Rolle gespielt haben: die Enttäuschung
über die zähflüssigen Verhandlungen im Parlament und die Verärgerung über Angriffe
von Seiten der hohenzollerischen Bevölkerung, weil er für die Zahlung der gesetzlichen
Abgaben und die Beitreibung rückständiger Steuern eintrat. In seiner öffentlichen Erklärung
verwies er auch darauf, daß er sich seinen Amtspflichten als Pfarrer nicht zu lange entziehen
könne85.
Georg Baur wurde nun als gewählter Ersatzmann Blumenstetters Nachfolger in der Nationalversammlung
. Baur entzog sich dieser schweren Aufgabe, wie er es bezeichnete, nicht
und wollte zum Wohle des deutschen Volkes und unseres Landes wirken86. In der Nationalversammlung
schloß er sich demselben politischen Verein an, dem bereits Pfarrer Blumenstetter
angehörte, nämlich der »Linken von Westendhall«, der »Linken im Frack« wie
man sie auch nannte. Diese Gruppierung hatte sich nach den blutigen Unruhen in Frankfurt
im September 1848 gebildet. Die Unruhen waren wegen des von der Nationalversammlung
genehmigten Waffenstillstands mit Dänemark ausgebrochen und zwei Abgeordnete waren
ermordet worden. Die Westendhall beabsichtigte, die Errungenschaften der Märzrevolution
gegen die Reaktion zu verteidigen. Gleichzeitig wollte man auch Gewalttaten bekämpfen87.
In seiner ersten Erklärung als Abgeordneter am 27. Oktober 1848 legte Baur wiederum
seine Ansichten dar. Er wollte eine einheitliche deutsche Nation, die auf einer starken militärischen
Macht begründet sein sollte. Dies war eine aktuelle Frage angesichts der Diskussion
über eine deutsche Flotte wegen des Kriegs mit Dänemark. Dieses geeinigte Deutschland
könne aber nur auf einer kräftigen, volksthümlichen Verfassung beruhen, die zu beschließen
Hauptaufgabe der Nationalversammlung sei. Er wandte sich gegen die Kleinstaaterei in
Deutschland, die nur dazu führe, daß die einzelnen Staaten in sich zerfallen würden. Wegen
der vielen Verkehrs- und Handelshindernisse könne Wohlstand nicht gedeihen. Nur durch
die Vereinigung Deutschlands wären die großen Aufgaben zu erfüllen, die die finanzielle
Kraft der einzelnen Staaten überstiegen. Hier mag er insbesondere die desolate wirtschaftliche
Situation Hechingens im Auge gehabt haben. Es sei dabei egal, ob der Staat den Namen
Republik oder Monarchie trüge, denn in beiden Staatsformen könnten die Interessen des
Volkes versäumt werden. Wichtig sei nur, die Regierung des Staates mit solchen Schranken
zu umgeben, daß sie das Volksrecht nicht verletzen könne und daß ihr Schutz und ihre Wohltaten
Allen im gerechten Maaße zu Theil werden. Die Bevorzugung von Ständen müsse beseitigt
werden. Jedem, ob arm oder reich, müsse der Weg zu Höherem offen gestellt sein. Zudem
hätte jeder nach seinen Kräften für das Allgemeine beizusteuern. Dies sei als Frucht der
Volkserhebung zu erreichen, und darin wäre die wahre Freiheit des Bürgers begründet88.
Baur äußerte hier praktisch einen Kanon liberalen Gedankenguts.
84 VuABl. Hech. Nr. 79(30.9.1848).
85 Speidel, Blumenstetter (wie Anm. 69), S. 77 ff.
86 VuABl. Hech. Nr. 82 (11.10.1848). Zu Baur als Nationalversammlungsabgeordneten auch: Best/
Weege, Biographische Handbuch (wie Anm. 57), S. 91. - Ernst Senn führt von Baur im »Parlaments-
Album« der Frankfurter Nationalversammlung, wo sich die Abgeordneten eintrugen, keinen Eintrag
auf: Senn, Die drei Hohenzollern im Frankfurter Reichtstag 1849 (wie Anm. 79). - Das Oberamt wurde
während der Abwesenheit Baurs Justizrat Dieringer übertragen (VuABl. Hech. Nr. 84; 18.10.1848).
87 Speidel, Blumenstetter (wie Anm. 69), S. 77 f.; Erklärung der Westendhall zur Waffenstillstandsfrage
(VuABl. Hech. Nr. 81, 7.10.1848). - Zu den Fraktionen in der Paulskirche auch: Siemann, Die deutsche
Revolution (wie Anm. 25), S. 127 ff.; Best/Weege, Biographisches Handbuch (wie Anm. 57), S. 486 ff.
88 VuABl. Hech. Nr. 87 (28.10.1848). Vgl. auch die Erklärung der Westendhall zur Waffenstillstandsfrage
(VuAbl. Hech. Nr. 81. 7.10.1848).
71
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1999/0085