http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1999/0124
Thomas Braun
Zu den frühen Anlagen mit vierzehn Stationen in Deutschland gehören der Kreuzweg von
Grüßau in Schlesien von 1700, der vom Kloster Lechfeld bei Augsburg von 1719, der von
Straubing von 1726, der von Amberg von 1727 und der von München von 172814. Von diesen
ist keiner mehr erhalten. Eine besondere süddeutsche Eigenart war, den Kreuzweg bei einem
Kalvarienberg enden zu lassen15.
Gerade das volkstümliche Element während der Zeit der Aufklärung im Laufe des späten
18. Jahrhunderts stellt mit ihrem vollkommen veränderten geistigen Klima einen Hauptkritikpunkt
dar. Für den Kreuzweg bedeutete dies eine Beschränkung auf den erzählerischen
Stoff der Evangelisten. Das legendäre Element sollte beseitigt werden und damit wesentliche
traditionelle Bestandteile der volkstümlichen Andacht, wie z.B. die Beweinung.
Zwar hat diese Kampagne gegen das Irrationale ihr Ziel nicht erreicht, wohl auch gar nicht
erreichen können. Aber der Versuch, Glaubensdinge im allgemeinen und die Passion im besonderen
verstandesmäßig zu erfassen, hat sich auf die Fähigkeit zur frommen Andacht ausgewirkt
. Für das Andachtsbild bedeutete dies den Anfang vom Ende einer langen Tradition.
Mit relativ geringem Erfolg gekrönt waren die künstlerischen Versuche, Kreuzwegdarstellungen
an die voraufklärerische Zeit anzuknüpfen. Die Experimente der Nazarener und
zuletzt der Beuroner Kunstschule atmeten zu sehr die Luft des Labors, als daß sie in den
gänzlich veränderten gesellschaftlichen und geistigen Rahmenbedingungen ihrer Zeit den
»Volkston« hätten treffen können.
Um dem Hechinger Kreuzweg seinen Platz in der Entwicklungsgeschichte anweisen zu
können, muß zunächst seine Substanz analysiert werden.
Die Bildwerke des St. Luzener Kreuzwegs sind in vierzehn einzelnen Stationshäuschen
untergebracht. Dreizehn davon wurden auf rechteckigem Grundriß errichtet (Abb. 1). Sie
sind mit einem nicht zu steilen Satteldach versehen, das mit Biberschwänzen eingedeckt ist.
Die Bildnische ist ein kubischer Raum, der von einem stichbogenförmigen Gewölbe nach
oben begrenzt wird. Zwischen dem Dach und den Längswänden vermittelt ein profiliertes
Gesims, das links und rechts auf der Frontseite fortgesetzt wird, bis es auf die Öffnung der
Bildnische trifft.
Ein Häuschen steht auf kreisrundem Grundriß. Seine Form ist die eines Türmchens mit
kegeligem Dach. Seine Außenfläche ist mit einer Quaderung versehen, die in die großen
Sandsteinblöcke eingearbeitet worden ist.
Bis auf die Stationen 1, 8,11,12,13 und 14 sind die Bildnischen mit je drei rundplastischen
Bildwerken besetzt. Aufgestellt sind davon heute dreiunddreißig Stück. Hinzu kommen
noch drei Figuren, die momentan in der Kirche hinter dem Hochaltar gelagert werden, was
ihre Gesamtzahl auf sechsunddreißig erhöht. Die Mehrzahl, nämlich zweiunddreißig, ist aus
Ton gebrannt, die anderen vier sind Holzskulpturen.
In den Stationen 11 und 12 befinden sich in Holz geschnitzte Reliefs. Das Häuschen der
achten Station ist leer.
Die Skulpturen und Plastiken in den einzelnen Häuschen sind nicht etwa durch eine gemeinsame
Plinthe oder Standplatte in ihrer Stellung zueinander determiniert. Jede von ihnen
kann einzeln bewegt und aus der Nische herausgenommen werden. In diesem Umstand mag
die Ursache liegen, daß ihr szenischer Zusammenhang und ihre ursprüngliche Zusammengehörigkeit
sowie die richtige Reihenfolge der Szenen verloren gehen konnte.
Die heutige Abfolge der Stationen stellt sich so dar, soweit sie identifiziert werden können
:
14 S.Anm. 10, S.304.
15 S.Anm. 1.
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