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Pierre Michel d'Ixnard - ein Architekt zwischen Rokoko und Klassizismus
Wir sehen also, daß sich die Rokokoskulptur Christians mit dem für sie geschaffenen antikischen
Ambiente d'Ixnards gut verträgt und sich hier bereits der sonst so herausgestrichene
Gegensatz zwischen »jubelndem« Rokoko und »kühlem« Klassizismus verliert.
6. HECHINGEN
Die Hechinger Stifts- und Pfarrkirche St. Jakob liegt an der Längsseite des rechteckigen
Marktplatzes von Hechingen auf einer Anhöhe in der sogenannten Oberstadt. Es handelt
sich um eine große Saalkirche mit querhausartigen Anbauten und einem halbrund geschlossenen
Chor. Die Eingangsseite weist in der Mitte einen dreigeschossigen, reich gegliederten
Turm auf.
Das Innere ist von eigenartiger Proportionierung: ein großer, flacher, breiter Raum. Die
Wände sind weiß gestrichen und durch ihre hohen Rundbogenfenster fällt viel Licht, so daß
der Eindruck eines großen Raumes noch verstärkt wird. Die flachen Spiegelgewölbe in Langhaus
und Chor sind durch einen Unterzug voneinander getrennt.
Die Wand wird durch Pilaster ionischer Ordnung auf hohen Sockeln gegliedert.
Was die Ausstattung angeht, so geht das meiste auf d'Ixnard zurück. In den Querhausarmen
finden sich an der Stirnwand je ein großer Altar und an den Längswänden zum Chor je
ein kleinerer. Im Chor befinden sich neben dem Hauptaltar mit Altartisch zwei Epitaphien
und das Chorgestühl und im Langhaus jeweils vor dem Querhaus links eine Kanzel und
rechts ein Taufstein.
Wegen Einsturzgefahr und des vom Fürsten beabsichtigten Neubaus nahm der Baumeister
Christian Großbayer aus dem nahegelegenen Haigerloch im Jahre 1769 eine Inspektion
in Hechingen vor und verfertigte selbst einen Riß, der viel von der späteren Planung
d'Ixnards vorausnimmt. Dieser nicht in Zentralperspektive ausgeführte Entwurf23 entspricht
mit seinem einen Turm, dem saalförmigen Langhaus mit kurzen Querarmen und dem eingezogenen
, halbrunden Chor einem Schema, das Großbayer aus der lokalen Tradition ableitete,
die auf die Vorarlberger Schule zurückgeht.
Christian Großbayer war Bauinspektor am Hof des Fürsten von Hechingen-Hohenzol-
lern und prägte den lokalen Kirchenbau in diesem Gebiet in den 70er Jahren24. Die Wallfahrtskirche
St. Anna in Haigerloch (1753-57), bei der Großbayer Bauleiter war, diente ihm
als Vorbild seines Entwurfs für die Hechinger Kirche.
Erst 1779 wurde das Projekt erneut in Angriff genommen; d'Ixnard war in Koblenz beschäftigt
, von wo aus er Ausführungspläne für die neue Kirche schickte, die sich auf die Pläne
Großbayers stützten und diese in seinem Sinn weiterentwickelte.
Der Kirchenbau verbrauchte mehr Geld als vorgesehen und Großbayer wie auch d'Ixnard
wurden entlassen. Johann Georg Scheyer wurde 1781 die Vollendung der Kirche übertragen,
die er vor allem durch die Unterzüge zur Abtrennung der Querhausarme prägte.
Bereits Ende 1781 wandte man sich wegen Entwürfen für die Ausstattung erneut an
d'Ixnard; er schickte sie bis zum Februar 1782.
Für die beiden Kirchen waren jeweils unterschiedliche Faktoren für deren Gestaltung
maßgebend. Bei der Damenstiftskirche am Federsee ist d'Ixnard durch die Disposition des
mittelalterlichen Vorgängerbaus und das Umbauprogramm der Baukommission festgelegt.
In Hechingen kann man davon ausgehen, daß Forderungen des Bauherren zu einer Übernahme
des Grundrißschemas von Großbayer führten. Den ihm gesteckten Rahmen füllt
d'Ixnard nun mit seinen Mitteln aus, die vor allem auf die Wirkung seiner Dekorationen ver-
23 Auch viele Vorarlberger Baumeister beherrschten die Zentralperspektive nicht.
24 Siehe Eckart Hannmann und Karl Werner Steim: Christian Großbayer (1718-1782). Sigmaringen
1982.
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