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Pierre Michel d'Ixnard - ein Architekt zwischen Rokoko und Klassizismus
der Wallfahrtskirche Vierzehnheiligen nachvollziehen; dieser Gnadenaltar wurde von Johann
Jakob Michael Küchel um 1764 entworfen und von Franz Xaver Feichtmayr bis 1768 ausgeführt
. Er besteht aus großen Voluten und Rocailleformen, die skulpturenbesetzt sind. Die ins
Riesige gesteigerte Rocaille ist zur Architektur geworden, doch ihre Bildhaftigkeit, ihr Rahmencharakter
macht diese Architektur zum Bildgegenstand, zum »Monument gewordenen
Ornament«.
Wenn die Architektur zum Bild oder zur Bilderwelt wird, dann erhalten die Wirkung und
der Ausdruck der Architektur immer mehr Gewicht, bis sie schließlich in den Vordergrund
treten, was gleichzeitig eine Auflösung des traditionellen Formenkanons bedeutet, indem
zum Beispiel mehrere Baustile gleichzeitig zitiert werden können. Dieser Entwicklung, die
erst im 19. Jahrhundert voll zum Tragen kommt, kann hier nicht weiter nachgegangen werden
, festzuhalten bleibt aber, daß das Malerische in der Architektur das Symptom eines Problems
ist, an dem die ganze Epoche laborierte. War dieses Problem der Umgang mit den immer
besseren und zahlreicheren Mitteln der Architektur und Dekoration, die im Laufe des
Jahrhunderts nebeneinandertraten? Sollte man als Architekt nicht möglichst viele dieser
Möglichkeiten nutzen? Diese Fragen können hier nur aufgeworfen, jedoch nicht beantwortet
werden.
7.1. DER GOÜT GREC
Bereits in den 30er und 40er Jahren des 18. Jahrhunderts wird in Frankreich eine Kritik am
Dekorationsstil des Rokoko laut und sowohl in Theorie als auch Praxis mischt sich die
Rückbesinnung auf die Architektur Ludwigs XIV. mit den Erkenntnissen über die antike Architektur
zum sogenannten goüt grec. Dieser Begriff wird heute oft als Stilbegriff verwendet,
doch Svend Eriksen weist darauf hin, daß er damals sehr unbestimmt gebraucht wurde28. Er
bezieht sich nämlich genau auf die beiden neuen Brennpunkte des architekturtheoretischen
Interesses und meinte einerseits klassisch und war mit style antique synonym, andererseits
wurde er auf die Architektur des 17. Jahrhunderts angewandt. Eriksen erbringt Belege aus
Zeitschriften für den Gebrauch von »goüt grec« in der Werbung beispielweise für Kaffee und
Haarlotion, die die modische Verwendung dieses Begriffs erweisen.
Die Antikenrezeption beginnt natürlich nicht im 18. Jahrhundert, aber sie erhält eine neue
Qualität. Einerseits wird sie theoretisch untermauert indem Forscher vor Ort antike Architektur
aufzeichnen und in den Akademien über Architektur diskutiert wird. Andererseits ist die
Umsetzung dieser Antike vom eigenen Geschmack gefiltert und wird so rezipientenabhängig.
Deshalb setzt sich das Postulat der Überlegenheit der griechischen Architektur zwar in Frankreich
durch, jedoch bleibt in der Praxis die römische Antike das Vorbild, neben das die eigene
Tradition des 17. Jahrhunderts tritt29. Hierbei spielt die nationale Komponenete bereits eine
Rolle, denn das Abstreifen des italienischen Einflusses, das in der Ablehnung von Berninis
Louvre-Entwurf gipfelt, läßt die französische Architektur des 17. Jahrhundert als eigenständig
erscheinen. Diese symbolische Komponente erklärt vielleicht mit die große Bewunderung für
die anstelle von Berninis Entwurf gebaute Ostfassade des Louvre von Perrault.
Das Vergnügen eines bis zur delicatesse verfeinerten Geschmacksinns steht also über dogmatischen
Regeln und fordert von der Architektur caractere. Dieser findet sich im goüt grec,
der jedoch nicht nur ein Rückbezug auf die Antike, sondern auch eine modische Hülle darstellt
. Es vollzieht sich in dieser Epoche der Wandel zu einer rezeptionsorientierten Sicht.
28 Svend Eriksen: Early Neo-Classicism in France. London 1974, S. 48-50.
29 Michael Häberle: Pariser Architektur zwischen 1750 und 1800. Diss. Freiburg 1994. Berlin-Tübingen
1995; S. 37-43.
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