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Besprechungen
Winfried Speitkamp: Jugend in der Neuzeit. Deutschland vom 16. bis zum 20. Jahrhundert.
Göttingen: Vandenhoek und Rupprecht 1998. 322 S.
Es liegt wohl nahe, nach der »Geschichte der Kindheit«, der »Geschichte des Todes« (beide
von Philippe Aries) und der »Geschichte des Alters« {Peter Borscheid) eine »Geschichte der
Jugend« zu schreiben. Um nicht allzu sehr auszuufern, beschränkt sich der Vf. auf den
deutschsprachigen Raum und auf die Zeit vom 16. bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts. Weil
das, was unter »Jugend« zu verstehen ist, von Epoche zu Epoche differiert, erscheint es ihm
wenig zweckmäßig, exakte Altersgrenzen festzulegen, doch handelt es sich seiner Meinung
nach jeweils stets um die Lebensphase zwischen Kindheit und Heirat. In einem engeren Sinn
kann dies das Alter zwischen 14 und 18 Jahren sein, so der Vf., in einem weiteren Sinn das
zweite Lebensjahrzehnt. Zeitlich gliedert Vf. seinen Stoff in sieben Abschnitte: 1. die vorindustrielle
Zeit (bis etwa 1770), 2. die Reformzeit (1770-1819), 3. von der Restauration bis zur
Reichsgründung, 4. das Kaiserreich, 5. die Weimarer Republik, 6. der Nationalsozialismus
und 7. die Nachkriegszeit (bis ca. 1960). Innerhalb dieser Zeitabschnitte folgt die Gliederung
den jeweils maßgeblichen gesellschaftlichen Gruppen. Dabei wird das Schulwesen stets ausführlich
thematisiert. Wenn die der Gegenwart näher liegenden Epochen in vorliegender Arbeit
zunehmend breiteren Raum einnehmen, so liegt es naturgemäß an den jeweils vorhandenen
Kenntnissen. Seinem Gesamtthema nähert sich Vf. von der Bevölkerungs-, Sozial-, Wirtschafts
- und Geistesgeschichte her, wobei er stets aufs neue überraschende Querverbindungen
herzustellen versteht. Auch sonst wartet er nicht selten mit neuen, informativen Details
auf. So erfährt man beispielsweise, daß das Wort der »Jugendliche« ebenfalls eine spezifische
Wortprägung der Kaiserzeit ist, erstmals 1875 in den »Blättern für Gefängniskunde« erscheint
und den zu Kriminalität neigenden und verwahrlosten jungen Menschen aus den unteren
Schichten (S. 13) meint.
Vf. beherrscht seine Materie souverän; er hat die aktuelle Forschung stets im Blick und
setzt sich mit aktuellen Kontroversen auseinander. Er schreibt knapp, schnörkellos, präzise
und überaus konzentriert: Somit bietet er ein Maximum an Inhalt, verlangt aber dafür vom
Leser erhöhte Aufmerksamkeit. - Ein wichtiges Buch; eines mit Handbuch-Charakter, das
mit seiner Informationsfülle immer wieder zum Nachschlagen und Nachlesen auffordert.
Albstadt/Tübingen Peter Thaddäus Lang
Sybille Backmann, Hans-Jörg Künast, Sabine Ulimann und B. Ann Tlusty (Hgg.): Ehrkonzepte
in der Frühen Neuzeit: Identitäten und Abgrenzungen. München: Oldenburg 1998,
410 S. (Colloquia Augustana, Bd. 8).
Jeder, der sich einmal intensiver mit der Mentalität des frühneuzeitlichen Menschen beschäftigt
hat, wird irgendwann einmal festgestellt haben, welche außergewöhnlich große Rolle die
Ehre im Selbstverständnis und im Zusammenleben gespielt hat. Deshalb gehört »die Analyse
zeitgenössischer Ehrvorstellungen ... mittlerweile zum festen Kanon der Forschungsparadigmen
bei der Darstellung frühneuzeitlicher Lebenswelten«, wie es die Herausgeber in ihrem
Vorwort formulieren. Es ist also nicht ganz von ungefähr, wenn sich das Institut für Europäische
Kulturgeschichte in Augsburg 1995 auf einer internationalen Tagung mit diesem
Thema befaßte.
Als Ergebnis der aktuellen Ehrforschung - so resümiert die Einführung - läßt sich festhalten
, daß die Ehre einen gesellschaftlichen Zweck erfüllte: Durch sie wurde soziale Wertschätzung
zugeteilt oder entzogen und damit die soziale Reputation einer Person festgelegt. Je
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