Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg2000/0031
Schwarz - Weiß

der staatlichen Schulaufsicht, schließlich zur staatlichen Kontrolle der Priesterausbildung
, insgesamt eine Welle von Maßnahmen, welche die frühere Rolle der Kirche
in der Gesellschaft erheblich beschnitt. Als Begleitergebnis ist festzuhalten, daß der
offen ausgetragene Meinungsstreit nun auch in Hohenzollern Ansätze eines differenzierten
Parteien- und Pressewesens75 entstehen ließ. Ein spätes Beispiel soll veranschaulichen
, daß die Verwerfungen des Kulturkampfes noch im beginnenden
20. Jahrhundert bis in die Dörfer hinein für Unruhe sorgten. Der aus Ringingen
stammende Kaspar Leibold war nach seiner Priesterweihe 1874 kurzzeitig Vikar im
badischen Ottersweier, sodann Redakteur des Badischen Beobachters in Karlsruhe
gewesen. Wegen ultramontaner Äußerungen wurde er ins Gefängnis gesteckt, fand
aber schließlich in der Schweiz eine Anstellung im geistlichen Amt. 1884 kehrte er
als Aushilfspriester nach Tailfingen zurück, seit 1887 amtierte er als Pfarrer in
Thanheim76. Ein Vierteljahrhundert nach der heißen Phase des Kulturkampfes, im
Jahre 1902, wurde Leibold vom Thanheimer Lehrer Hiernonymus Bisinger beim
Freiburger Ordinariat wegen antipreußischer Aussprüche angeschwärzt77. Im
Schulunterricht soll er zu den Kindern wörtlich gesagt haben: Ihr müßt nicht alles
glauben, was euch der Lehrer über die Vergrößerung Preußens vorplappert; vieles
kam nicht auf die rechte Weise dazu. Der zweite Vorwurf lautete, Leibold habe am
Neujahrstag 1900 von der Kanzel herabgedonnert: Wann die Welt jene Männer
auch ,große Männer' nennt, welche Länder eroberten, in meinen Augen sind sie
Mörder und Teufel. Bisinger merkte an, diese Worte seien allgemein auf den Heldenkaiser
Wilhelm I. und seinen großen Kanzler Bismarck bezogen worden. Auch
der dritte Vorwurf war politischer Art. Im Kaisereich feierte man jährlich am 27. Januar
mit Prunk und Glockengeläut in allen Gemeinden Kaisers Geburtstag. Leibold
aber hatte auf diesen Termin statt eines Jubelgottesdienstes eine Totenmesse
angesetzt. Beim Verhör durch den zuständigen Dekan Fecht, der pikanterweise
1874 als Pfarrverweser in Jungingen selbst ins Gefängnis geworfen worden war,
weil er angeblich auf der Kanzel Bismarck einen Landesverräter genannt hatte78,
meinte Leibold freimütig, in der Schule würde allerdings zu viel Zeit auf die preußische
Geschichte verschwendet, so daß die Hauptfächer zu kurz kämen. Entschieden
bestritt er hingegen, jemals geäußert zu haben, Preußen habe sich auf unrechtmäßige
Weise vergrößert. Und natürlich hätte sich seine Kritik der ,großen Männer'
nicht gegen den Heldenkaiser Wilhelm, sondern gegen Tyrannen vom Schlage eines
Antiochus des Großen oder Napoleon gerichtet. Während Fecht den Vorwurf wegen
des verlegten Kaisergeburtstages als belanglos einschätzte, wurde Leibold gerade
deswegen vom Freiburger Ordinariat scharf gerügt. Die Thanheimer Episode
zeigt nicht nur, daß man in Hohenzollern noch lange nach dem Kulturkampf
durchaus in deutlicher Distanz zu Preußen stehen konnte, sie demonstriert auch

75 Vgl. Adolf Rösch, Der Kulturkampf (wie Anm. 73), S. 105-109.

76 Ebd., S. 59 f.

77 Vgl. zum folgenden: Paul Münch: Die Kirche im Dorf - Zur Geschichte der Pfarrei
Thanheim seit 1790. In: 200 Jahre St. Ulrichs-Kirche in Thanheim. Festtage am 30. Juni und
1. Juli 1990 [hrsg. v. Pfarrer Andreas Möhrle, Bisingen 1990, S. 6-20].

78 Vgl. Adolf Rösch: Kulturkampf (wie Anm. 73) S. 68 f.

29


Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg2000/0031