http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg2002-03/0478
Der Fürst und „seine" Hexe
Züchtigung zu strafen, es könne jedoch von Rechts wegen nicht der Tortur unterzogen
werden, selbst wenn es sich herausstellen und mit genügsamen Indiciis und
Zeugen dargethan würde, dass das Kind von dem Teüffel zur Hexerey were veführet
worden1'1'7. Obwohl die Tübinger Juristen also mit klaren Worten von einem peinlichen
Prozess abraten, sehen sie dennoch Handlungsbedarf, da sie Sorge tragen, das
kleine Mägdlein möchte von dem leidigen Teüffel [...] verführet seyn438. Sie raten
deshalb zu einer erneuten Befragung des Kindes mit dem Ziel, doch noch Näheres
über die geschilderten Vorgänge zu erfahren. Sollte das Mädchen dabei seine Aussagen
weiterhin variiren oder negiren, empfehlen die Gutachter, es eine Zeitlang einem
frommen und gottsfürchtigen Haußvatter anzuvertrauen, welcher mit guter Manier
daßelbige zum fleißigen Gebett anhalten thäte, darneben auf seine Actiones fleißig
Achtung gebe, und wann etwan durch annehmliche Kindergeschenckh er es ihme
angewehnet, daß es ein Lieb und Vertrauen zu ihme gewonnen und frey mit ihm
redet, könnte es nach und nach von ihme erforschen und nach Umbständen, wie es in
ein und anderm, so es vormahlen bekennet, hergangen. Sollten dabei ein und mehr
corpus delicti[...] von ihm bekannt werden, könnte alßdann in der Stille an solchem
Orth Erkundigung eingezogen und in der Sach ferner, denen Rechten nach, verfahren
werden.
Die Beantwortung der zweiten Anfrage bezüglich der denunzierten Mutter würde
sich nun - so die Gutachter - aus dem Vorhergehenden leicht erhellen439. Obwohl die
Weißgerberin aufgrund der Besagung durch ihre Tochter und der vormahligen
Beschreyung [...] zimblich verdachtig gemacht worden seye, könne aus juristischer
Sicht weder zur Verhaftung noch und viel weniger zur Tortur gegriffen werden. Denn
für eine Verhaftung seien die stichhaltigsten Indizien vonnöten (indicia legitima,
justa, verissimilia ac idonea) und diese seien im Fall der Weißgerberin für die Gutachter
dieses Orths nicht zu erkennen gewesen, zumal auch die Tochter ihre Aussagen
bald bejahet, bald wieder negiert440. Doch selbst wenn diß Mägdlein endlich
beständig darauff beharrte, daß sie es [das Zaubern] von der Mutter erlernet hette, so
were es eine von eim Kind gethane Nomination und dahero, laut obaußgeführten, ad
ejusmodi juris effectus ganz von Ohncräfften. Auch sei aus dem von den hohenzolle-
rischen Räten beigelegten Schreiben nicht ersichtlich, ob die Weißgerberin nach ihrer
Freilassung vor neun Jahren inzwischen von Neuem als Hexe verdächtigt worden sei.
Gesetzt den Fall, man hätte sie ins gemein biß daher vor ein Zauberin gehalten, so
müsste man dieses Gerücht einer genauen rechtlichen Prüfung unterziehen. Denn es
sei schließlich bekannt, dass trotz eines ausgestandenen Prozesses der gemeine Mann
solche Persohn, so lang sie lebet, vor verdächtig zu halten pfleget; was aber wieder die
Rechte sei, die davon ausgingen, dass durch eine außgestandene Tortur die Indicia
gänzlich purgirt und von keinen Kräfften mehr seyen441. Deshalb halte man dafür,
437 Ebd. S. 776.
438 Ebd. S. 777.
439 Ebd. S. 778.
440 Ebd. S. 779.
441 Ebd. S. 780.
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