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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg2002-03/0735
Neues Schrifttum

Der Autor erliegt nicht der Versuchung der Etymologie, den „Gemeinen Mann"
vorschnell als Mann der Gemeinde zu identifizieren. Im Spätmittelalter war er u. a.
eine Figur der Schiedsgerichtsbarkeit, der bei Stimmengleichheit den Ausschlag gab
und somit „als letztrichterliche Instanz" gar Fürst und König ersetzt habe (Bd. 1, S.
74). In der Frühen Neuzeit verschmolz der Begriff bald mit dem „armen Mann" und
dem „Untertan", bis er vom „Bürger" abgelöst wurde. Im romanischen Sprachraum
ergaben sich entsprechende Verbindungen von „commun" und „peuple". In dieser
begrifflichen und situativen Vielfalt sieht Blickle Stadt und Land durch „ein herrschaftssoziologisches
Kriterium" verbunden, nämlich das „kollektive Regiment der
Hausväter" (Bd. 1, S. 76), das sich - vor allem unter dem Dach des entstehenden Territorialstaats
- zunehmend gegen Vaganten aller Couleur absetzte (Bd. 1, S. 81). Das
Haus war als eigenständiger Friedensbereich die „Organisationseinheit für Arbeit"
(Bd. 1, S. 86), aus Nachbarschaft entwickelte sich die Kommune. Ihr Grundwert war
- wiederum ohne Unterschied zwischen Stadt und Land - der „Gemeine Nutzen",
der auf den Schutz der „Hausnotdurft" und des Friedens zielte, d.h. auf individuelle
und kollektive standesgemäße Subsistenz gegenüber den Risiken von Markt und
Herrschaft (vgl. Bd. 2, S. 202ff., 377f. u. ö.). Der Friede wiederum war gefährdet,
wenn die Herrschaft die kommunale Satzungsgewalt zu überformen drohte und
gegen die - personenrechtliche - Freiheit der Bürger anging. Der Gemeinnutz, legi-
timatorische Grundformel kommunaler Satzungstätigkeit im Spätmittelalter (Bd. 1,
S. 92, zu Italien Bd. 2, S. 208), wurde von den frühneuzeitlichen Territorialobrigkeiten
zur Rechtfertigung ihrer disziplinierenden Policey-Gesetzgebung absorbiert.

Der Ausgriff in die Peripherien entlarvt den russischen Mir, seit August von
Haxthausen als Prototyp der Gemeinde schlechthin präsentiert, als bloßen Ver-
waltungs- und Haftungsverbund für die staatliche Kopfsteuer. Und ausgerechnet
England, das Mutterland der Demokratie, ließ für autonomes kommunales Leben
„kaum Raum", denn: „Das Individuum Haus ist stärker als das Kollektiv Dorf und
Stadt" (Bd. 2, S. 112, 121). Hier wäre es von hohem Interesse genauer zu erörtern, ob
nicht zentrale Bestandteile des englischen Rechts- und Verfassungslebens wie das
nicht-römische common law, die parlamentarische Integration der Häuser des Hochadels
und der Gentry sowie das House of Commons Transformationen „kommuna-
listischer" Strukturmerkmale auf gesamtstaatliche Ebene darstellen. War Kommunalismus
in Oberschwaben eine gegen die Übermächtigung durch den Duodez-Fürsten
gerichtete lokale Hausväter-Demokratie, dann das englische Regierungssystem eine
fraktionierte Versammlung von Hausvätern, die als Land-Väter gegen absolutistische
Neigungen etwa der Stuarts rebellierte.

Als Quintessenz wird bestimmt, „Kommunalismus wäre ... eine regional verbreitete
Formation der willentlich geschaffenen lokalräumlichen Organisation des Alltags
durch das periodische Zusammentreten der haushäblichen Gemeindebürger und
deren Recht, die lokalen Normen zu definieren und ihre Durchführung der ehrenamtlichen
Wahrnehmung durch Repräsentanten zu übertragen. Die Organisation
richtet sich vorrangig auf ... die Schaffung und Sicherung von Frieden und Gemeinem
Nutzen" (Bd. 2, S. 374).

Was Peter Blickle bescheiden als „Skizzen" anbietet, ist tatsächlich die Summa seines
langen, innovativen und höchst einflussreichen wissenschaftlichen Werdegangs.

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