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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg2004/0042
Heinrich Bücheler

Jüngsten zum Priester machen wollte. Er war bereits im College St. Michel in Cahors
und dann im Lazaristen-Seminar in Toulouse auf der geistlichen Laufbahn fortgeschritten
und sollte Ostern 1788, neunzehnjährig die ersten Weihen empfangen. Als
aber im Februar 1788 ein berittenes Regiment der Ardennenjäger mit klingendem
Spiel am Priesterseminar vorbeizog, erwachte in dem Seminaristen Joachim eine
andere Erbmasse: er lief den Reitern nach und war trotz allen Bemühungen der verzweifelten
Mutter, welche auch die in der Gascogne einflußreiche Familie de Talley-
rand einschaltete, nicht mehr zu bewegen, von der Chasseur-Uniform zur Soutane
und vom Säbel zum Brevier zurückzukehren. Murats deutscher Biograph Wencker-
Wildberg meint, „Kreuz und Halbmond, Morgenland und Abendland" hätten
damals in dem Gastwirtssohn und Priesterschüler miteinander gerungen2. Aber die
Wirkungsstätten des Joachim Murat sollten nun einmal nicht die Kirchen und Klöster
Frankreichs werden, sondern die Schlachtfelder des Okzidents und des Orients.

Der Gastwirts- und Posthaltersohn aus La Bastide-Fortuniere - heute La Bastide-
Murat -, am 25. März 1767 geboren, war mit Pferden aufgewachsen, so wie der Advokatensohn
aus Korsika mit der Literatur und Mathematik. Der Gascogner war zwei
Jahre älter als der Korse und diesem in allen jenen Dingen überlegen, in denen der
junge Mann von der Mittelmeerinsel wenig zu bieten hatte. Joachim war schon in jungen
Jahren ein groß gewachsener, überaus stattlicher Bursche, „le coq de village"3, der
bei Streitereien stets die Führungsrolle an sich riß. Napoleon hingegen war körperlich
sehr klein, blieb in einer Menschenmenge unbeachtet, mußte Hemmungen überwinden
. Beim Staatsstreich vom 9. November 1799 schließlich, dem 18. Brumaire im
Revolutionskalender, als dem kleinwüchsigen General in der Orangerie vor dem „Rat
der Fünfhundert" die Worte versagten, sprang der Hüne Oberst Murat in die Bresche
und donnerte: Die Versammlung ist aufgelöst! Und seinen Soldaten befahl er: Werft
das Pack hinaus! Golo Mann urteilte: „Murat war wenigstens einmal die Rettung seines
großen Schwagers, am 18. Brumaire4". Der wohl folgenreichste Staatsstreich in
der Neuzeit war in Murats Laufbahn indes nur die Leistung eines einzigen Tages.
Uber zwei Jahrzehnte aber war er auch „ein großartiger Reiterführer, mit viel Sinn
fürs Dramatische"5. Napoleon war der beste Artillerist der Neuzeit, vielleicht sogar
aller Zeiten. Als Infanterist hingegen hätte er es wegen seiner kurzen Beine und Neigung
zur Fettleibigkeit wohl zu nichts bringen können. Ebensowenig als Kavallerist:
er blieb ein miserabler Reiter.

In dem Gascogner Murat fand Napoleon den Mann, der ihm die unentbehrliche
Verfolgungstruppe für seine Vernichtungsfeldzüge schuf und brillant führte. Joachim
Murat wurde in der Neuzeit der Kavallerieführer mit dem größten Aktionsradius:
dieser reichte von Madrid bis an den See Genezareth und Moskau. Nur die Reiterführer
des Altertums, Alexanders und Hannibals, kämpften auf mehreren Kontinenten
und könnten, vielleicht, mit Murat verglichen werden. Nach den von Napoleon

2 Friedrich Wencker-Wildberg: König Murat. Berlin 1937.

3 Tulard (wie Anm. 1) S. 75.

4 Golo Mann in einem Brief an den Verf.

5 Ebd.

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