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Die Sigmaringer Turner zur Mitte des 19. Jahrhunderts
Bewegung23. Er wurde als Vorstand des vaterländischen Vereins vorgestellt und war in
dieser Eigenschaft, ebenso wie Müller aus Riedlingen, als politischer Gesinnungsgenosse
der Turner gefragt. Uber den Inhalt dieser Reden erfahren wir aus dem
Erzähler nur pauschal, dass es sich um patriotische Reden gehandelt habe. Auch hier
wird der Volksfreund, wenn auch wieder in polemischer Weise, deutlicher: Die Redner
bewegten sich meist auf politischem Gebiet. Ein Ponegyricus auf Hecker, eine
Philippica gegen die deutschen Guizots und die deutschen Louis Philippe's, bei denen
leider noch Etwas fehle, um vollkommen Louis Philippe's zu sein, so wie gegen die
langweiligen Schwätzer zu Frankfurt und den Popanz von Zentralgewalt bildeten
die Brennpunkte ihrer Reden. Und in einer Anmerkung wird ergänzt: Unpatriotisch
und nur eines Rüge würdig waren die Vorunglimpfungen eines Redners gegen
Radetzky und seine Tapfern, und undeutsch die Sympathie mit den Italienern und
den Plänen des Murmeltierkönigs Albert. Es ist recht, für die Freiheit aller Nationen
zu schwärmen. Aber das Hemd liegt mir doch näher, als der Rock; zuerst ein mächtiges
großes Deutschland vor einem freien Italien! Was ist unsere Marine ohne das
adriatische Meer, was unser Handel ohne Venedig.
Der Großteil der Reden hatte also politischen Inhalt, was in der damaligen Zeit bei
Turnfesten allerdings auch üblich war, und war eindeutig demokratisch ausgerichtet24
. Und selbst derjenige Redner, offensichtlich der Vertreter aus Biberach, der sich
laut Volksfreund einzig dezidiert zum Turnen äußerte, hatte einen deutlich politischen
Anstrich: Nur einer der Redner, seinem Dialekt nach ein Norddeutscher,
sprach von der Turnerei und ihren Schicksalen. Der alte selige Bundestag hätte sie
beinahe gänzlich unterdrückt, auch wollten sie von ihrem 'Vater Jahn', dem Stifter
der Turnvereine, nichts mehr wissen. Er hätte den Biberachern auf eine Einladung,
diesen Herbst zu ihnen zu kommen, zugesagt, nachdem er aber zu Frankfurt nicht
mehr zu den Republikanern zähle, so bedankten sie sich schönstens für seinen Besuch.
Die polemisch vorgetragene Kritik des konstitutionell ausgerichteten Volksfreunds
belegt auch die deutlich radikaldemokratische Tendenz der Sigmaringer Turner.
Wenige Tage später ließen die jungen Männer in den Sigmaringer Septemberunruhen
den Worten Taten folgen.
Der Volksfreund geht in seiner Analyse der Fahnenweihe noch einen Schritt weiter.
Er denunziert die Redner nicht nur aufgrund ihrer politischen Ansichten, sondern
macht auch deren gesellschaftlichen Status lächerlich. Er schreibt von den jugendlichen
Rednern, die er dem Abeiterstand zuordnet25. Damit liefert er zugleich eine
wohl zutreffende Einschätzung zur sozialen Herkunft der Turner. Aus diesem
Rahmen fiel natürlich der gleichfalls als Redner auftretende Sigmaringer Jurist Würth,
auf den weder das Prädikat jugendlich passte, noch gehörte er dem Arbeiterstand an.
Er war allerdings auch kein Turner. Doch diese deutliche Verunglimpfungen der
23 Zu Würth siehe Eberhard Gönner: Carl Otto Würth. In: Hohenzollern (wie Anm. 5)
S. 472 - 476. - Siehe zuletzt zusammenfassend Vogt, Trillfinger Volksversammlung (wie Anm.
5) S. 31 sowie die dort in Anm. 28 angegebene Literatur.
24 Hess, Schwäbische Turner (wie Anm. 3) S. 27.
25 Die jugendlichen Redner waren dem Vernehmen nach Posamentiere und sonstige Arbeiter.
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